«Unsere Generation ist die Ursache der Klimakatastrophe»
Rosmarie Wydler-Wälti ist das Gesicht der KlimaSeniorinnen. Diesen Frühling hat ihr Verein seine Klage gegen die Schweiz bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Sie fordern stärkeren Klimaschutz für eine bessere Lebensqualität. Im Interview sprechen wir über Aktivismus im Alter, warum sie den Staat verklagt hat und wie sie die Sommerhitze bewältigt.
meineEltern: Frau Wydler-Wälti, Sie haben mit den KlimaSeniorinnen die Schweiz wegen mangelndem Klimaschutz verklagt. Warum setzen Sie sich so stark für stärkere Klimaschutzmassnahmen durch den Staat ein?
Rosmarie Wydler-Wälti: Durch die Klimakatastrophen wird unser Leben existenziell bedroht. Gerade wir älteren Frauen sind von Klimakatastrophen betroffen: Die Sterblichkeitsrate durch Hitze ist bei Frauen höher als bei Männern. Das Recht auf Leben ist ein grundlegendes Menschenrecht, das durch die Klimakatastrophen nicht mehr gewährt ist. Es ist höchste Zeit, dass sich der Staat für den Klimaschutz einsetzt. Selbst wenn wir sofort entscheidende Schritte unternehmen würden, sind die Reaktionen des Klimas verzögert. Wahrscheinlich werden wir diese positiven Veränderungen nicht mehr erleben. Doch unsere Jungen würden in Zukunft weniger leiden.
Fühlen Sie sich denn mitverantwortlich für die Klimakrise?
In den 1960er-Jahren profitierte unsere Gesellschaft wirtschaftlich stark durch die Massenproduktion. Alles wurde billiger und der Konsum nahm rasch zu. Auch wenn einige damals schon versucht haben, anders zu leben, gehört unsere Generation der Babyboomer zu den Hauptverursachern der Klimakatastrophe. Dies wird uns auch von einigen Jungen vorgeworfen – ich selbst habe dies zwar noch nicht gehört. Ich möchte aber nicht von Schuld sprechen, denn uns waren die Konsequenzen unseres Handelns nicht bewusst.
Haben Sie sich auch schon früher für die Umwelt eingesetzt?
Mir war es schon immer wichtig, etwas fürs Gemeinwohl zu machen und nicht nur für mich. Früher war ich Kindergärtnerin. Als ich meinen ersten Sohn bekam, blieb ich zu Hause – Teilzeitarbeit gab es damals noch nicht. So war ich zwölf Jahre nicht berufstätig und hatte die Gelegenheit, mich in verschiedenen Gruppen und NGOs aktiv zu engagieren.
Nun zeigen Sie, dass man auch im Alter aktivistisch sein und die Welt verändern kann.
Das liegt daran, dass ich wirklich etwas Wichtiges mache. Ich bin viel am Computer, gebe Interviews und halte Vorträge. Früher dachte ich, dass mich die Wut bei gewissen Themen runterzieht. Doch immer, wenn etwas negativ läuft, denke ich: «Gohts eiglich no?» Da muss man etwas machen – jetzt erst recht. Daher gibt es mir auch sehr viel Energie.
Wo nehmen Sie die Kraft her, sich so aktiv für etwas einzusetzen?
Ich betreue an einem Tag in der Woche meine jüngsten Enkelkinder, an anderen Tagen gehe ich am Abend singen. Das gibt mir sehr viel Energie. Mit meinem Mann gehe ich jeden Tag in den Wald zum Laufen. Ich brauche die Natur um mich herum. Doch ich mache auch vieles nicht mehr – Putzen zum Beispiel.
Was machen Sie im Sommer zum Ausgleich?
Früher sind mein Mann und ich oft mit dem Tandem an den Rhein gefahren. Heute nehmen wir den klimatisierten Bus zum Tinguely, schwimmen dort den Rhein hinunter und fahren dann mit dem Tram wieder nach Hause. Ansonsten schaue ich, dass ich nicht zu viel mache. Gerade wenn es heiss ist, gehe ich nur noch einkaufen. Denn beim Treppen hinaufgehen, bekomme ich Atemprobleme. Dann lege ich mich hin.
Hört man im Alter mehr auf seinen Körper?
Oh ja! Ich hatte schon einige Operationen und Krankheiten, die plötzlich gekommen sind. Das ist immer ein Schreckensmoment, bei dem ich dachte, ich bin uralt. Der Körper ist unberechenbar, eine Zeitbombe.
Gibt das auch den Druck, aktiv zu werden, da einem bewusst wird, dass man nicht für immer Zeit hat?
Ja. Aber ich bin auch froh, dass ich auch noch etwas anderes habe. Meine Aktivitäten geben mir Energie. Ich kenne viele, die haben nur ihre Krankheit. Das ist traurig. Im Alter muss man alles abwägen; den Körper ernst nehmen, aber doch dranbleiben.
Haben Sie Tipps, wie Frauen im Alter sich aktiv betätigen können?
Es gibt vieles, bei dem man für die Welt noch etwas tun kann. Gemeinschaft ist gerade im Alter sehr wichtig. Man kann sich für andere einsetzen, oder man geht mit Freunden spazieren. Es ist aber hilfreich, wenn man sich in einer Gruppe austauschen und inspirieren kann – und auch ausheulen, wenn man etwas erlebt hat. Manchmal muss man sich dafür aufraffen und eine passende Gruppe finden, oder man gründet selbst eine.
Zur Person:
Rosmarie Wydler-Wälti, 73 Jahre, ist Co-Präsidentin der KlimaSeniorinnen und wurde dafür für den Prix Courage 2023 vom «Beobachter» nominiert. Die ehemalige Kindergärtnerin lebt in Basel, ist verheiratet und hat vier Kinder sowie Enkelkinder.
Zum Verein KlimaSeniorinnen
Im August 2016 formierten sich nach einem Greenpeace-Aufruf rund 150 ältere Menschen zur Gruppe der KlimaSeniorinnen. Inzwischen zählt der Verein mehr als 2300 Mitglieder aus der gesamten Schweiz, wobei das durchschnittliche Alter bei 73 Jahren liegt. Im Jahr 2020 hat der Verein mit fünf Einzelklägerinnen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Klage gegen die Schweiz eingereicht. Sie argumentieren, dass der Bund ungenügende Massnahmen gegen den Klimawandel ergriffen habe. Schon 2017 hatte das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ähnliche Anträge nicht berücksichtigt, eine Haltung, die von nachfolgenden Gerichtsinstanzen bestätigt wurde. Das anstehende Urteil des EGMR könnte bedeutende Impulse für die menschenrechtlichen Verpflichtungen von Staaten im Kontext des Klimawandels setzen.
Forschungen zeigen, dass der Klimawandel in Europa, besonders für Menschen über 65 Jahren, zu einer Zunahme tödlicher Hitzeextreme führt. In der Schweiz konnten zwischen 1991 und 2018 circa 30 % der hitzebedingten Todesfälle dem Klimawandel zugeordnet werden. Besonders betroffen davon sind Frauen. Vor diesem Hintergrund plädieren die KlimaSeniorinnen für die Implementierung strikter Emissionsreduktionsziele in der Schweiz und fordern zudem eine Regulierung klimaschädlicher Finanztransaktionen und des Konsums im Ausland. Das Urteil zu dieser sowie zwei anderen Klimaklagen wird voraussichtlich nicht vor Ende 2023 gefällt.
Fünf Tipps für mehr Klimaschutz im Alltag
- Energieeffiziente Haushaltsgeräte: Ersetzen Sie alte Haushaltsgeräte durch energieeffiziente Modelle. Dies spart nicht nur Energie, sondern kann auch die Stromrechnung senken.
- Lokale Produkte kaufen: Unterstützen Sie lokale Bauern und Handwerker, indem Sie auf Wochenmärkten einkaufen. Dies reduziert den CO2-Fussabdruck, da die Produkte nicht über weite Strecken transportiert werden müssen.
- Pflanzliche Ernährung: Erwägen Sie, mehr pflanzliche Lebensmittel in Ihre Ernährung aufzunehmen. Das bedeutet nicht unbedingt, Veganer oder Vegetarier zu werden, aber schon kleine Veränderungen, wie ein fleischfreier Tag pro Woche, können einen Unterschied machen.
- Wiederverwendbare Taschen und Behälter: Nutzen Sie wiederverwendbare Einkaufstaschen, anstatt Plastiktüten zu verwenden. Wenn Sie zum Beispiel in einer Bäckerei oder in einem Café sind, bringen Sie Ihre eigene Box oder Ihren eigenen Becher mit, um Verpackungsmüll zu reduzieren.
- Öffentlicher Verkehr und Carpooling: Wenn möglich, nutzen Sie öffentliche Verkehrsmittel oder schliessen Sie sich mit anderen zu Fahrgemeinschaften zusammen. Wenn Sie nicht mehr selbst fahren, überlegen Sie, ob es in Ihrer Gemeinde ehrenamtliche Fahrdienste gibt, die Sie nutzen können.
Mehr Tipps für einen nachhaltigen Konsum und Lebensstil finden Sie auf unserer Partnerplattform nachhaltigleben.ch.