Zusammenleben

Wann ist eine Beistandschaft sinnvoll und wie viel kostet sie? 

In der Schweiz bietet die Beistandschaft eine wichtige Unterstützung für Erwachsene, die nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln, sei es durch geistige Behinderung oder psychische Erkrankung. Das Erwachsenenschutzrecht regelt die verschiedenen Formen der Beistandschaft und deren spezifische Aufgaben. Hier erfahren Sie alles über die verschiedenen Beistandschaften, ihre Einrichtung und Kosten.

Ein Beistand hilft bei Alltagsaufgaben.
Eine Beiständin hilft bei Alltagsaufgaben wie zum Beispiel Rechnungen bezahlen. © AnnaStills / iStock / Getty Images Plus

Beistandschaft – das Wichtigste in Kürze:

  • Ein Beistand hat die Aufgabe, das Wohl und den Schutz einer hilfsbedürftigen Person sicherzustellen. Was heisst das genau?
  • Das Erwachsenenschutzrecht kennt keine Beiratsschaften und keine Vormundschaften mehr. Dafür gibt es Beistandschaften
  • Die Gründe, weshalb man einen Bestand erhält, sind vielfältig. Mehr dazu erfahren
  • Jede Person kann der Erwachsenenschutzbehörde eine Meldung machen, wenn sie das Gefühl hat, eine Person benötige Hilfe oder Schutz. Ist eine anonyme Meldung sinnvoll?
  • Was soll man tun, wenn man sich mit dem Beistand oder der Beiständin nicht versteht? Wie man sich wehrt
  • In der Schweiz hat die Weiterführung der umfassenden Beistandschaft mit automatischem Entzug der Handlungsfähigkeit im revidierten Erwachsenenschutzrecht für Bedenken gesorgt. Die Argumente von humanrichts.ch

Walter, 79 Jahre, wird immer vergesslicher. Immer häufiger passiert es ihm, dass Rechnungen liegen bleiben oder er die Post im Briefkasten vergisst. Seine Sorgen erzählt er seiner jüngeren Schwester Martha. Er habe grosse Angst, dass er einmal bevormundet werde und er nicht mehr allein über sein Leben bestimmen könne. Seine Schwester schlägt ihm daraufhin einen Beistand vor.

Beistandschaft für Erwachsene in der Schweiz

In der Schweiz dient die Beistandschaft dazu, Erwachsene zu unterstützen, die aufgrund geistiger Behinderung, psychischer Erkrankung oder anderer Gründe nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln. Die gesetzliche Grundlage für die Beistandschaft bildet das Schweizerische Zivilgesetzbuch, insbesondere das Erwachsenenschutzrecht. Dieses legt das Verfahren zur Einrichtung einer Beistandschaft fest und regelt, unter welchen Umständen diese notwendig wird. Es gibt unterschiedliche Formen der Beistandschaft, je nach Grad der notwendigen Unterstützung und den individuellen Bedürfnissen der betroffenen Person. 

Was macht ein Beistand für Erwachsene?

Die Aufgaben eines Beistands variieren je nach Bedürfnissen der betreuten Person. Sie reichen von Wohn- und Gesundheitsangelegenheiten bis hin zu finanziellen und administrativen Aspekten. Dabei kann es um Beratung, Mitwirkung oder Vertretung gehen. «Ein Beistand muss aber nicht die Wohnung putzen, kochen oder einkaufen. Auch ist er nicht persönlich für die medizinische Betreuung zuständig», sagt Ursula Wohlfender, Juristin bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Zürich.

Das Erwachsenenschutzrecht kennt keine Beiratsschaften und keine Vormundschaften mehr. Dafür gibt es Beistandschaften. Sie hängt vom Bedarf der Betroffenen ab. Es gibt vier verschiedene Arten:

Begleitbeistandschaft

Sie ist für jemanden gedacht, der urteilsfähig ist und mit dem Beistand gut kommunizieren kann. Betroffene benötigen für bestimmte Aufgabenbereiche begleitende Unterstützung. Der Beistand oder die Beiständin hat dann kein Vertretungsrecht, sondern steht nur beratend zur Seite. Beispiel: Die Beistandsperson hilft bei der Stellen- oder Wohnungssuche.

Vertretungsbeistandschaft

Wenn die Betroffenen bestimmte Geschäfte nicht selbst erledigen können und Vertretung benötigen, kann diese Art Sinn ergeben. Im Rahmen der Vertretungsbeistandschaft kann der Beistand oder die Beiständin für die betroffene Person handeln. Die betroffene Person muss sich diese Vertretungshandlungen anrechnen lassen. «Diese Art der Beistandschaft ist die häufigste Art», sagt Ursula Wohlfender. Die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person ist durch die Vertretungsbeistandschaft grundsätzlich nicht eingeschränkt. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) kann allerdings die Handlungsfähigkeit einschränken, wenn das erforderlich ist.

Mitwirkungsbeistandschaft

Diese Art wird aktuell, wenn die Gefahr besteht, dass eine Person Rechtshandlungen zu ihrem Schaden vornimmt (z.B. durch Eingehen finanzieller Verpflichtungen, die sie sich nicht leisten kann, oder durch Abschluss unvorteilhafter Geschäfte). Die Kesb kann anordnen, dass Betroffene für bestimmte Handlungen jeweils das Einverständnis des Beistands einholen müssen. Erst wenn eine Zustimmung erteilt wurde, werden die Handlungen rechtskräftig. Beispiel: Abschluss eines Handy-Abonnements.

Umfassende Beistandschaft

Diese Art wird dann nötig, wenn jemand dauerhaft urteilsunfähig ist und sich mit seinen Handlungen gefährdet und darum hilfsbedürftig ist. Mit ihrer Errichtung entfällt die Handlungsfähigkeit von Gesetzes wegen. Beispiel: Jemand benötigt sehr viel Hilfe und muss in allen alltäglichen Geschäften vertreten werden.

Wer bekommt einen Beistand?

Trotz schwerer Erkrankungen oder Beeinträchtigungen bewältigen viele ihren Alltag selbstständig oder organisieren nötige Hilfe. Ein staatlicher Eingriff in Form einer Beistandschaft erfolgt nur, wenn die Hilfe durch Dritte unzureichend ist und keine eigene Vorsorge getroffen wurde.

Bleibe ich mit einem Beistand handlungsfähig?

Die Handlungsfähigkeit einer hilfsbedürftigen Person variiert je nach Beistandschaftsart. Bei umfassender Beistandschaft entfällt sie, während sie bei einer Vertretungsbeistandschaft grösstenteils erhalten bleibt, kann aber in spezifischen Bereichen eingeschränkt sein.

Wer entscheidet über eine Beistandschaft?

Wenn jemand glaubt, dass eine Person Hilfe oder Schutz braucht, kann er dies der Kesb melden – auch für sich selbst. Nach einer Meldung prüft die Behörde den Fall und entscheidet über die Notwendigkeit eines Beistands. Obwohl anonyme Meldungen möglich sind, empfehlen die Kesb-Bezirke Winterthur und Andelfingen ZH diese nicht, da sie oft nicht effektiv sind, die Arbeit der Behörde belasten und zusätzliche Kosten verursachen können.

Wer kann Beistand werden?

Jeder, der über die persönlichen, fachlichen Qualitäten verfügt und Zeit für diese Aufgabe hat. Es gibt professionelle Beistände, die für Gemeinden arbeiten. Der Hilfebedürftige kann selbst Vorschläge machen, etwa aus der Familie oder dem Bekanntenkreis. Wenn die vorgeschlagene Person geeignet und bereit ist, wird sie bevorzugt. Ursula Wohlfender sagt jedoch: «In manchen Fällen raten wir aber von privaten Beiständen wie Familienangehörigen ab. Zum Beispiel, wenn das Familienverhältnis stark belastet ist.»

Kann man sich gegen eine Verbeiständung wehren?

Bei Unzufriedenheit mit Entscheidungen oder der Wahl des Beistands gibt es Möglichkeiten. Nehmen wir an, Anna fühlt, dass ihr zugewiesener Beistand ihr nicht genügend Freizeitbudget gibt, obwohl sie ausreichende Mittel hat. Sie kann das Thema direkt mit ihm besprechen. Wenn das keine Lösung bringt, kann sie die Kesb informieren. Sollte man allgemein mit der Beistandschaft unzufrieden sein, wie Anna es in einem anderen Fall erlebt hat, kann man vor Gericht gehen oder die Kesb kontaktieren. Ursula Wohlfender hebt hervor, dass eine selbstbeantragte Beistandschaft nicht einfach gekündigt werden könne. Wer jedoch keinen Beistand mehr möchte, müsse eine formelle Aufhebung bei der Kesb beantragen. Die Kesb prüfe solche Anträge genau.

Wann hört eine Beistandschaft auf?

Eine Beistandschaft endet mit dem Tod der hilfsbedürftigen Person oder wenn die Kesb die Beistandschaft aufhebt.

Wie kann man eine Beistandschaft auflösen?

Die Auflösung einer Beistandschaft in der Schweiz ist ein strukturiertes Verfahren, das gewisse Voraussetzungen erfordert. Zunächst muss deutlich werden, dass die Gründe für die Einrichtung der Beistandschaft nicht mehr bestehen, beispielsweise wenn sich die Lebensumstände oder der Gesundheitszustand der betroffenen Person verbessert haben. Der betroffene Erwachsene selbst, der Beistand oder nahestehende Personen können einen Antrag auf Auflösung beim zuständigen Erwachsenenschutzbehörde stellen. Das Gericht prüft dann, ob die Voraussetzungen für die Auflösung gegeben sind. Bei positiver Beurteilung wird die Beistandschaft formell aufgehoben. Die rechtlichen Konsequenzen einer solchen Auflösung sind, dass die betroffene Person wieder die volle Handlungsfähigkeit und Entscheidungsbefugnis in allen Lebensbereichen erhält und der Beistand keine rechtlichen Pflichten oder Befugnisse mehr gegenüber der Person hat. Es ist wichtig, die Entscheidung zur Auflösung sorgfältig zu prüfen, um sicherzustellen, dass die betroffene Person tatsächlich ohne die Unterstützung einer Beistandschaft zurechtkommt.

Was kostet ein Beistandschaft in der Schweiz?

Beistände haben Anrecht auf eine Entschädigung und den Ersatz der notwendigen Spesen aus dem Vermögen der betroffenen Person. Die Entschädigung für einen Beistand ist kantonal geregelt. Die jeweilige Kesb legt die Höhe der Entschädigung fest. Sie berücksichtigt unter anderem den Umfang der übertragenen Aufgaben des Beistands. Grundsätzlich übernimmt die betreute Person die Kosten. Fehlt das Geld, übernimmt die öffentliche Hand die Entschädigung.

Kritik an der umfassenden Beistandschaft  

In der Schweiz hat die Weiterführung der umfassenden Beistandschaft mit automatischem Entzug der Handlungsfähigkeit im revidierten Erwachsenenschutzrecht für Bedenken gesorgt. Laut humanrights.ch hat der Ausschuss der UNO-Behindertenrechtskonvention am 23. März 2022 seine Sorge über diese Praxis ausgedrückt. Besonders kritisch sah der Ausschuss die Fortsetzung der «Vormundschaft», die den Betroffenen automatisch die Handlungsfähigkeit entzieht. Viele Rechtsexpert*innen betrachten diese Beistandsform als veraltet und stigmatisierend. Ihrer Ansicht nach ist in der aktuellen Rechtslandschaft keine Notwendigkeit für solch drastische Massnahmen gegeben. Es zeigt sich, dass zahlreiche alte Vormundschaftsfälle in die umfassende Beistandschaft übergeleitet wurden, was deren Anzahl erhöhte. Die daraus resultierenden Konsequenzen für die betroffenen Personen reichen vom Entzug politischer Rechte bis hin zu diversen rechtlichen Einschränkungen. Angesichts dieser Tatsachen müsse die umfassende Beistandschaft im Licht eines menschenwürdigen Erwachsenenschutzes kritisch überdacht werden, heisst es im Beitrag von humanrichts.ch.

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