Zusammenleben

Worüber Seniorinnen und Senioren gerne sprechen

Am Leben teilnehmen und sich eingebunden fühlen – das ist für alle Menschen wichtig. Doch manche älteren Menschen haben durch körperliche oder geistige Einschränkungen weniger Möglichkeiten, Kontakte zu pflegen. Gespräche tun daher gut. Wie sie gelingen, weiss Psychotherapeut Michael Wunderli von der Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid in Sirnach TG.

Eine Grafik zeigt ein Seniorenpaar von hinten.
Kommunikation ist eine Säule aller menschlichen Beziehungen. © Tetiana Gargusha

Worüber mit Senioren sprechen – das Wichtigste in Kürze: 

  • Kommunikation mit älteren Eltern ist wichtig und steigert ihre Lebensqualität. Das sind die Gründe
  • Auf Augenhöhe zu bleiben und sich Zeit zu nehmen, ist Voraussetzung für ein gelingendes Gespräch. Wie das gelingt
  • Ältere Menschen erzählen oft gern von ihren Erfahrungen in der Vergangenheit. Wie auch Sie profitieren können
  • Schwierige Themen sollten Sie vorher ankündigen, damit sich alle Beteiligten darauf einstellen und vorbereiten können. Das sollten Sie beachten

Meineeltern.ch: Welchen Stellenwert hat Kommunikation für ältere Menschen? Welche Bedürfnisse lassen sich durch Gespräche erfüllen?

Michael Wunderli: Es gibt nicht DEN alten Menschen an sich. Ältere Menschen unterscheiden sich individuell, genau wie jüngere Menschen. Ganz allgemein kann aber schon festgehalten werden, dass die Kommunikation einen sehr hohen Stellenwert für ältere Menschen einnimmt, denn durch Kommunikation entstehen Beziehung und Teilhabe – Bedürfnisse, die gerade im Alter bedroht sein können. Denn typischerweise haben Menschen im Alter weniger soziale Beziehungen.

Wohin führt die Abnahme sozialer Beziehungen?

Ältere Menschen fühlen sich häufig wie auf dem Abstellgleis, nicht mehr gebraucht und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Gleichzeitig sind sie auch oft von technischen Neuerungen wie Handy, Computer und der allgemeinen Digitalisierung überfordert. Dies alles kann dazu beitragen, sich nicht mehr als Teil der Gesellschaft oder sogar von der Gesellschaft ausgeschlossen zu fühlen. Beiden Prozessen wirkt Kommunikation entgegen.

Was liegt Ihnen in Gesprächen mit älteren Menschen besonders am Herzen?

Bei meiner psychotherapeutischen Arbeit ist mir sehr wichtig, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Diese älteren Menschen haben bereits ein Leben gelebt und gemeistert – sie bringen also einen gut gefüllten Rucksack an Lebenserfahrungen mit, den es zu würdigen gilt.

Welche Kommunikationsstrategien sind in Gesprächen mit älteren Menschen sinnvoll?

Sich die Zeit zu nehmen, um mit älteren Menschen zu sprechen, sei dies nun im klinischen Setting oder im Alltag, ist ein Zeichen der Wertschätzung. Respektvoll gelingt es dann auch leichter, sich sprachlich zu finden. Altersgerecht zu sprechen, kann zum Beispiel heissen, besonders deutlich und langsam zu sprechen oder Anglizismen zu vermeiden, die der älteren Generation weniger geläufig oder gar unbekannt sind.

Welche Themen eignen sich, um ins Gespräch zu kommen?

Gespräche mit älteren Menschen gelingen gut, wenn man sich an deren Vergangenheit interessiert zeigt: Wie war das damals ohne Natel? Wie hat man sich früher kennengelernt ohne Tinder? Wie ist es, als eines von vielen Geschwistern aufzuwachsen? Oft teilen ältere Menschen gerne persönliche Geschichten und Erzählungen.

Wie können erwachsene Kinder offene Gespräche mit ihren Eltern über schwierige Themen führen?

Grundlage für offene Gespräche ist eine gute Beziehung. Förderlich für eine gute Beziehung ist es wiederum, selbst offen zu kommunizieren. Mein Tipp an erwachsene Kinder ist also, offen über eigene Gefühle und Bedürfnisse zu reden. Möchten sie zum Beispiel ein Thema klären, das sie als schwierig empfinden, können sie sagen: «Du sollst wissen, dass ich es schwierig finde, dieses Thema anzusprechen, gleichzeitig mache ich mir grosse Sorgen um dich, nachdem du gestern von der Leiter gefallen bist. Ich möchte mich darum mit dir über deine Sicherheit im Haus unterhalten.»

Gibt es Tipps für den Einstieg ins Gespräch?

Für ein herausforderndes Gespräch über schwierige Themen kann es sehr sinnvoll sein, es bereits einige Tage zuvor anzukünden. Somit wird verhindert, dass sich unser Gegenüber unvorbereitet und überrumpelt fühlt. Alle Beteiligten können sich auf das Thema vorbereiten und sich ihre Gedanken machen. Ganz konkret könnte es helfen, das Gespräch mit einer offenen Frage zu starten – zum Beispiel: «Was ist dir in den letzten Tagen bezüglich der Sicherheit im Haus durch den Kopf gegangen?» Das signalisiert, dass man an der Meinung des Gegenübers interessiert ist. 

Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich bei der Kommunikation mit Seniorinnen und Senioren, die kognitiv eingeschränkt hören?

In meinem Arbeitsalltag kommt es immer wieder vor, dass ich mit älteren Menschen Gespräche führe und merke, dass sie kognitiv nicht folgen können. Deshalb ist es wichtig, das Besprochene immer wieder zusammenzufassen und auch den Kontext des Gesprächs hervorzuheben. In diesen Fällen hiesse das zum Beispiel: «Wir machen Psychotherapie miteinander und suchen nach einem Weg, wie Sie sich wieder besser fühlen können.» Solche Zusammenfassungen helfen auch im Familienalltag – zum Beispiel so: «Es ist so schön, dass ich dich heute besuchen darf.»

Manche älteren Menschen können sprachlich nicht ausdrücken, was sie meinen, oder hören weniger.

In diesen Fällen ist zu beachten, dass Gespräche für solche Menschen anstrengend sein können. Immer wieder aktiv nachzufragen, ob sie eine Pause brauchen oder das Gespräch beenden wollen, wird dem gerecht.

Wann sollten Gespräche beendet werden und wie lassen sie sich gut beenden?

Ein Gespräch sollte spätestens dann beendet werden, wenn eine Person äussert, dass sie es beenden will. Weil wir das aber meist nicht offen sagen, ist es hilfreich, auch mal nachzufragen, ob unser Gegenüber überhaupt noch weitersprechen möchte. Zum Schluss kann man beispielsweise betonen, dass man sich über das Gespräch gefreut hat, oder man kann sich dafür bedanken.

Zur Person

Michael Wunderli.
Michael Wunderli. © zVg.

Psychotherapeut Dr. Michael Wunderli arbeitet bei Clienia Littenheid auf der Station Panorama D mit Schwerpunkt «50plus und Privé».


 

Weitere Artikel in Zusammenleben

Aktuelle Artikel

Beliebte Artikel