Zusammenleben

Kontaktabbruch zu den Eltern: wenn in der Familie Funkstille herrscht

Ein Kontaktabbruch zu den Eltern kommt häufig aus dem Nichts und stellt für die ganze Familie ein schmerzhaftes Ereignis dar. Was aber sind die Gründe für einen Kontaktabbruch? Wie kommt es zum Bruch? Muss es immer gleich ein Kontaktabbruch sein?  Dürfen die Grosseltern die Enkel trotzdem sehen? Diese und weitere Fragen beantwortet der Familientherapeut Felix Hof im Gespräch.

Ein Sohn argumentiert mit seinem betagten Vater.
Im Alter kann sich die Beziehung zu den Eltern schwierig gestalten.  © laflor / iStock / Getty Images Plus

Meine Eltern: Die Eltern sind für viele ein Leben lang die wichtigsten Bezugspersonen. Es gibt aber Ausnahmen: Das Zusammenleben wird plötzlich unerträglich. Was sind die Gründe, wenn sich Eltern und Kinder auseinanderleben?

Die Gründe sind vielfältig. Es geht vielen erwachsenen Kindern darum, ihre Eigenständigkeit und Eigenverantwortung zu bewahren. Viele Eltern sind aber der Meinung, dass sie in den Alltag ihrer Kinder eingreifen müssen.

Wie greifen sie in den Alltag ein?

Eltern stören sich an der Wahl des Partners oder der Partnerin. Ihnen gefällt nicht, wie der Nachwuchs mit Geld umgeht. Sie beklagen sich über die Unordnung in der Wohnung. Das sind wiederkehrende Themen, die Eltern beschäftigen.

Sind das gleich Gründe, den Kontakt abzubrechen?

Eltern halten kontinuierlich Grenzen nicht ein, wenn sie einfach in die Wohnung marschieren und zum Beispiel die Wohnung ungefragt aufräumen. Sogenannte Helikopter-Eltern haben ein Leben lang das Gefühl, sie seien dazu berufen, ihrem Nachwuchs jede Fürsorge anzubieten, auch wenn es dieser gar nicht braucht. Ihr Tun hat etwas Übergriffiges.

Wiederkehrende Anschuldigungen an Weihnachten oder die Mutter putzt ungefragt die Wohnung: In solchen Fällen sollte man also gleich den Kontakt abbrechen?

Einen Kontaktabbruch finde ich immer problematisch. Eltern sind die erste und heftigste Verbindung in jedem Leben. Sie sind die stärksten Verbindungspersonen. Diese Bindung existiert so oder so, auch wenn man den Kontakt abbricht. Eltern sind naturgemäss schwierig veränderbar. Eltern sind dazu da, zu stören und für Reibung zu sorgen, damit eine Entwicklung stattfinden kann. Sie sind dazu da, ihre Erfahrungen weiterzugeben, auch wenn sie nicht gefragt sind.

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Haben Eltern ihr Kind in der Kindheit geschlagen und misshandelt, hinterlässt das Spuren. Sollten Kinder auch dann den Kontakt aufrechterhalten?

Gerade in toxischen Beziehungen oder bei Übergriffen ist es wichtig, dass man zuerst viel Selbststärke aufbaut, um sich gegenüber seinen Eltern abgrenzen zu können. Mit einem Kontaktabbruch ist es nicht getan.

Was meinen Sie damit?

Gerade bei einer toxischen Mutter oder einem toxischen Vater ist es wichtig, die teilweise perfide Vorgehensweise zu durchschauen. Bei missbrauchten Menschen, die seelisch traumatisierende Erfahrungen nicht verarbeitet haben, wiederholen sich diese Erfahrungen häufig in der Realität. Darum ist eine therapeutische Begleitung notwendig.

Ratgeberbücher über Krisenbewältigung, Selbsthilfe oder Selbststärke boomen. Helfen diese Bücher dem Einzelnen?

Jedes Individuum ist einzigartig. Persönliche Antworten findet man nicht in allgemeinen Ratgeber-Bücher. Es gibt zwar Ansätze, die zeigen, was man alles ausprobieren kann. Aber man muss das Problem im Einzelnen genau ansehen. Das geht nur über den Dialog mit einer Fachperson.

Bis zu einem Kontaktabbruch stauen sich Gefühle wie Wut oder Frust gegenüber den Eltern. Wie soll man mit solchen Gefühlen umgehen?

Diese Gefühle dürfen in angemessener Form gegenüber den Eltern angesprochen werden. Angemessen heisst: respektvoll und wertschätzend. Das erfordert Mut und Überwindung, lohnt sich aber. Seine Bedürfnisse mitzuteilen, fühlt sich gut an. Beide Seiten müssen ihre Rolle ehrlich reflektieren.

Was aber tun, wenn Reden nicht hilft?

Eltern geben ihre Rolle nicht so gern hin. Darum werden sie wohl auf dem einen Ohr taub bleiben. In der Auseinandersetzung zu bleiben, ist aber wichtig.

Weshalb?

Irgendwann kehrt sich die Rolle. Dann wenn die Eltern krank und alt werden. In der späteren Lebensphase haben wir die Verantwortung für die Eltern. Wenn die Beziehung nicht mehr stimmt, gelingt der Rollenaustausch nicht, die Beziehung scheitert.

Ein letzter Brief an die Eltern: «Das wars.» Wie geht es jenen, die den Kontakt abgebrochen haben?

Ich erlebe Menschen, die in der Lage sind, den Abbruch vollständig auszublenden. Er existiert nicht mehr für sie. Spätestens aber, wenn ein Elternteil stirbt, tritt das Problem wieder auf. Betroffene quälen Fragen wie: «Hätte ich doch nur...?» oder «Warum habe ich nicht noch...?» Ein Kontaktabbruch ist kein abschliessender Vorgang. Die Geschichte geht weiter. Bis über den Tod der Eltern hinaus. Deshalb ist es nicht ratsam, so einen radikalen Abbruch vorzunehmen. Es ist nichts anders als eine Fluchtreaktion, die mit neuen Schwierigkeiten verknüpft ist. Nach einem Kontaktabbruch ist man mit Ohnmacht und Schuldgefühlen konfrontiert. Man vermisst die Eltern.

Grosseltern haben kein Recht auf Enkelkinder, aber einen psychischen Anspruch.

Was empfehlen Sie stattdessen?

Man muss seine Grenzen klar definieren und kommunizieren. Eine solche Botschaft könnte so lauten: «Liebe Mami, ich will nicht, dass du ungefragt in die Wohnung kommst.» Man muss deutlich machen, was im Wiederholungsfall passiert, nämlich dass man sich danach von den Eltern distanziert. Es ist wichtig, dem Gegenüber die Konsequenzen zu verdeutlichen. Genauso wichtig ist es, sich danach auch zu distanzieren – für ein Jahr, für einen Monat oder was auch immer angekündigt wird. Grenzüberschreitendes Verhalten ist nicht verhandelbar.

Haben Grosseltern das Recht dazu, ihre Enkelkinder zu sehen?

Ich bin der Meinung, dass Enkelkinder Anspruch auf ihre Grosseltern haben. Die Rolle der Grosseltern ist schützenswert. Sie haben kein Recht, aber einen psychischen Anspruch.

Was heisst das?

Grosseltern sind die Urpersonen in unserem Leben. Sie können die Entwicklung der Kinder positiv beeinflussen und eine ergänzende Rolle übernehmen. Sie bieten aber auch seelische Unterstützung, Sicherheit und Zuflucht, wenn Eltern dies aufgrund von äusseren Umständen nicht ermöglichen können. Umgekehrt können Enkelkinder Grosseltern Sinn und Daseinsinhalt geben.

Raten Sie zu mehr Gelassenheit gegenüber den eigenen Eltern?

Ja, definitiv. Eltern sind nun mal Störenfriede. Man darf Eltern auch würdigen. Wir können uns ärgern, aber letztlich sind sie, wie sie sind. Sie haben uns nicht ausgewählt und wir sie auch nicht. Wir haben keine Wahlfreiheit.

Zur Person

Felix Hof
Felix Hof © zVg.

Felix Hof ist Psychotherapeut und Psychologe in Zürich. Zu seinen Fachgebieten gehört die Paar- und Familientherapie.

Selbsthilfegruppe oder doch Forum?

Sie möchten sich mit anderen austauschen? In einer Selbsthilfegruppe treffen sich Menschen, die mit dem gleichen Problem konfrontiert sind und damit besser umzugehen lernen. Sie tauschen sich aus und sprechen über ihre Schwierigkeiten im Alltag. Auch können sich Betroffene gegenseitig Mut machen. Keine Lust auf Treffen? Dann gibt es im Internet viele Foren, in denen Betroffene Rat suchen.

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