Pflege

«Ich brauche einen Zugang zu den Menschen»

Oft stossen wir an unsere eigenen Grenzen und benötigen dann Hilfe. In solchen Situationen tritt Karin Arnold aktiv auf den Plan. Sie ist Mitarbeiterin des Entlastungsdienstes. Ihre Aufgabe ist es, Menschen in Notlagen zu helfen und sie zu entlasten. Die Erkennung einer solchen Notlage ist nicht einfach. Sie ist so individuell wie der Mensch selbst. Und genau so individuell ist Arnolds Arbeitsalltag. Ein Einblick.

Das Entlastungsdienst-Team unterstützt Angehörige und Menschen mit Beeinträchtigungen.
Das Entlastungsdienst-Team unterstützt Angehörige und Menschen mit Beeinträchtigungen. © fizkes / iStock / Getty Images Plus

MeineEltern: Wie sieht Ihr Alltag beim Entlastungsdienst aus?

Karin Arnold: Es gibt keinen typischen Tag. Es ist jeden Tag anders. Kürzlich musste ich ein Kind von seinen Eltern abholen. Das Kind wird regelmässig von epileptischen Anfällen heimgesucht und sitzt in einem Rollstuhl. Meine Aufgabe war, das Kind im Taxi zur Betreuungsstätte zu begleiten und bei Anfällen, die mit einem Kollaps einhergehen können, die erforderlichen Notfall-Medikamente zu geben.

Hat es schon einmal solch eine Situation gegeben?

Zum Glück nicht.

Sie unterstützen auch Erwachsene.

Ich habe kürzlich eine 97-jährige Frau besucht. Ich wasche ihre Wäsche und wechsle die Bettwäsche und Handtücher. Während die Wäsche wascht oder im Trockner ist, sitze ich ins Wohnzimmer und unterhalte mich mit der Kundin.

Macht sich ihr Alter bemerkbar?

Sie ist gut auf den Beinen. Sie wohnt in einem Zimmer, das an ein Pflegeheim angegliedert ist. Sie lebt selbstständig. Ich muss sie nie aus- oder anziehen. Die Kundin ist manchmal vergesslich, aber sie ist grundsätzlich sehr gegenwärtig. Wir führen gute Gespräche und lachen viel zusammen. Ihr Humor ist erfrischend.

Sie erleben Angehörige, die mit der Pflege am Anschlag sind. Geht Ihnen das nahe?

Ja. Was pflegende Angehörige leisten, ist wirklich bewundernswert. Teilweise betreuen sie ihre Familienangehörigen 24 Stunden am Tag. Und das mit viel Herzblut, viel Feingefühl und Engagement. Das ist für mich Liebe pur.

Sprechen Sie mit den Pflegenden?

Ja. Ich höre ihnen vor allem zu, wenn sie von ihrem Pflegealltag erzählen. Ein Kunde pflegt seine Frau allein. Sie ist an Demenz erkrankt und baut rasant ab. Er erzählt mir, wie sehr es ihn belastet und die Pflege stets schwieriger wird.

Was antworten Sie ihm auf das?

Ich empfehle ihm, die Situation mit seinem Hausarzt zu besprechen. Ich würde ihm nie sagen, dass die Pflegesituation vielleicht zu viel für ihn ist. Dazu fehlt mir die Kompetenz.

Sie versuchen anderen zu helfen. Gelingt Ihnen das immer?

Das ist eine berechtigte Frage. Ich komme viel in Situationen, in welchen Unvorhergesehenes passiert. Einmal betreute ich ein fünfjähriges Kind. Das Mädchen wollte im Lavabo baden. Als ich das nicht zuliess, schrie sie und wollte gar nicht mehr aufhören. Ich konnte sie nicht beruhigen und zog mich etwas zurück. Da wurde es plötzlich still und als ich nachschaute, war sie eingeschlafen. Als sie erwachte, war sie friedlich und entspannt.

Wann stossen Sie an Grenzen?

Ich weiss im Vorfeld, was mich erwartet. Zu den Kunden gibt es einen Auftragsbeschrieb. Ich kann selbst bestimmen, ob ich zu einem Kunden möchte oder nicht.

Welche Fälle lehnen Sie ab?

Ich habe Rückenprobleme. Grosseinkäufe, wo ich viel schleppen müsste, lehne ich in der Regel ab. Auch wenn ich nichts mehr bewirken kann, lehne ich die Aufträge ab. Darunter fallen Kunden, die zum Beispiel nur noch bettlägerig sind. Wenn ich keinen Zugang zu Menschen finden, belastet mich das.

Lassen Sie den Tag am Abend Revue passieren?

Eigentlich nicht. Sobald der Einsatz abgeschlossen ist, ist die Arbeit für mich beendet. Ausser vielleicht bei Zwischenfällen wie bei diesem fünfjährigen Mädchen und dem Lavabo. Ich habe mich gefragt, ob ich es beim nächsten Mal besser machen kann. Anders war das, als ich noch im Büro gearbeitet habe, da war ich schon mal nachts wach und grübelte über den Tag nach. Ich fühle mich beim Entlastungsdienst sehr wohl. Meine Aufgaben werden ernst genommen und die Arbeit erfüllt mich sehr.

Wann endet Ihr Arbeitstag?

Das ist unterschiedlich. Manchmal beginnt er um halb acht und endet erst um sechs Uhr abends. Ich kann zwischen den Einsätzen Pausen machen. Dauert die Pause mehrere Stunden, fahre ich nach Hause und koche etwas für mich.

Wie entspannen Sie sich am Abend?

Als Ausgleich zu meiner Arbeit pflege ich meine Hobbys. Ich treffe mich mit Familie und Freunde. Ich kreiere gerne Menüs.  Zudem gehe ich seit 12 Jahren an Tanzanlässe. Ich liebe Tanzen.

Zur Person:

© zVg.

Karin Arnold, 60 Jahre, lebt in Muri bei Bern. Zu ihren Hobbys zählen Kochen, Tanzen und Sport. Sie ist ausgebildete Pflegehelferin und hat einen Basiskurs in der Physiotherapie besucht. Zudem war sie lange Zeit in der Reisebranche tätig. Sie arbeitet zwischen 15 und 20 Stunden pro Woche für den Entlastungsdienst. Daneben arbeitet sie in der Kinderbetreuung.

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