Tod

Sterbebegleitung: Bis in den Tod – was Angehörige wissen sollten

Sterbebegleitung: Das ist mehr als nur die Hände zu halten am Lebensende. Der Sterbebegleiter Daniel Kallen teilt tiefgehende Einblicke in die Komplexität seines Berufs, betont die Wichtigkeit einer wertschätzenden Haltung und zeigt, warum die richtige Begleitung für Sterbende und Angehörige so entscheidend ist. Lesen Sie ein ehrliches Interview über die Schwierigkeiten, Missverständnisse und die wahre Bedeutung dieser besonderen Aufgabe.

Eine professionelle Sterbebegleitung kann Angehörige entlasten.
Eine professionelle Sterbebegleitung kann Angehörige entlasten. © Kayoko Hayashi / E+

Sterbebegleitung – das Wichtigste in Kürze:

Wenn ein geliebter Mensch im Sterben liegt, erleichtert eine wertschätzende Sterbebegleitung seinen Weg, der ein letztes Loslassen erfordert. «Sterbebegleitung hilft auch den Angehörigen», weiss Sterbebegleiter Daniel Kallen, Autor des Buches Jeder Mensch stirbt nur einmal. Begegnungen am Sterbebett (Zytglogge, Basel). Im Interview erklärt er, wie eine Sterbebegleitung alle Beteiligten entlasten kann.

meineEltern: Herr Kallen, was bedeutet Sterbebegleitung?

Daniel Kallen: Sterbebegleitung ist ein etwas schönfärberisches Wort, in dem Übertreibung, ja sogar eine Anmassung steckt. Als ob man Sterbende tatsächlich auf ihrem Weg auf die andere Seite des Lebens begleiten könnte! Sicher, wir können ihre Hand halten, wenn sie das wünschen, wir können ihnen Mut machen, letzte Hilfe leisten, wir können da sein und sie unterstützen. Aber sterben und damit ein letztes Mal loslassen, muss jeder Mensch ganz allein. Ich als Sterbebegleiter versuche immer, Sterbenden zu helfen, auf eine würdige Weise über den berühmten Jordan zu gehen. Und zwar egal, was auf der anderen Seite liegt. Egal auch, ob da überhaupt etwas liegt.

Welche Arten von Sterbebegleitung gibt es?

Sterbebegleitung ist immer sehr individuell. Aber wenn ich sie irgendwie einteilen müsste, würde ich sagen: Es gibt gute, das heisst gelungene Formen von Sterbebegleitung und dann gibt fragwürdige und zweifelhafte Formen. Was meine ich damit? Wenn eine begleitende Person zum Beispiel einem sterbenden Menschen gegenüber aufdringlich, missionarisch, ja sogar taktlos begegnet, sich zum Beispiel ungefragt aufs Bett der Patientin setzt, dann läuten in mir die Alarmglocken. Sterbebegleitung darf nie jemanden zu irgendetwas nötigen, was er oder sie nicht ist und nicht möchte. Ich habe leider in meinen 30 Jahren viele solche misslungenen Formen von Sterbebegleitungen erlebt, sowohl von gestandenen Gemeindepfarrerinnen oder Priestern als auch von selbsternannten Laien-Seelsorgerinnen.

Was verstehen Sie unter einer gelungenen Sterbebegleitung?

Ein Mensch soll sich in seiner letzten Phase getragen, verstanden und unterstützt fühlen. Deshalb ist eine wertschätzende, achtsame Grundhaltung in der Sterbebegleitung unabdingbar. Ein guter Sterbebegleiter leitet nicht, sondern schenkt einer Person volle Aufmerksamkeit und Zuwendung. Eine Sterbebegleitung sehe ich als gelungen, wenn Menschen am Schluss ihr Leben und sich selbst in Frieden loslassen können.

Was tun Sterbebegleiter?

Die letzte Etappe auf dem Weg des Lebens sollte niemand allein gehen müssen. Folglich geht es in der Sterbebegleitung immer darum, menschliche Nähe zu schenken – ohne immer auf die Uhr zu schauen. Ein wenig provokativ ausgedrückt helfen Sterbebegleiter nicht, sondern halten aus. Es geht um dieses offene, neugierige, wertschätzende Da-Sein, wenn das Gegenüber Schmerzen hat, besorgt, nervös, traurig oder reizbar ist. Es geht um das Da-Sein, wenn die Gesprächspartnerin Schlaf- und Konzentrationsstörungen hat, sich sorgt, ihre Eigenständigkeit zu verlieren oder befürchtet, für ihre Angehörigen nur noch eine Last zu sein und ihre körperliche Schwäche oder ihre Endlichkeit als Niederlage sieht.

Wer kann Sterbeberaterin oder Sterbeberater sein?

Viele Sterbebegleiter und Sterbebegleiterinnen sind ausgebildete Seelsorger und Psychologen. Grundsätzlich jedoch können alle Menschen sich in Grundkursen zu Sterbebegleitern ausbilden lassen. Eine grundlegendere und umfassendere Ausbildung haben Seelsorger und Psychologen.

Hilft Sterbebegleitung auch den Angehörigen?

Angehörige von Sterbenden befinden sich oft in einer schwierigen Doppelrolle. Auf der einen Seite sind sie zum Beispiel als Ehemann, Ehefrau, Tochter, Sohn, naher Freund oder enge Freundin Teil der Familie und trauern selbst. Auf der anderen Seite sehen sie sich plötzlich in der Rolle eines Sterbebegleiters oder Sterbebegleiterin, für die sie Kraft brauchen. Diese Doppelrolle kann sehr anstrengend werden. Ein professioneller Sterbebegleiter kann da entlastend wirken. Angehörige können dann die Last ein wenig teilen oder sogar für einen Moment abgeben und ein wenig düreschnufe. Das ist ungemein wichtig.

Wie lässt sich eine passende Sterbebegleitung finden?

Um eine geeignete Sterbebegleitung zu finden, kann man sich zuerst fragen, ob man lieber eine Frau oder einen Mann für die Begleitung auf der letzten Etappe des Lebens möchte. Elementar ist zudem, dass die Chemie stimmt, denn eine Sterbebegleitung lässt sich nicht einfach wiederholen. Darum ist es auch wichtig, vorher Kontakt aufzunehmen, Fragen zu stellen, zu telefonieren oder sich vorher sogar persönlich zu treffen. Ich biete zum Beispiel immer ein unverbindliches Probe- oder Kennenlerngespräch an. Wichtig ist meiner Meinung nach auch, dass eine Begleitung immer von einer Person mit einer fundierten Ausbildung ausgeführt wird. Sterbebegleitung heisst nicht einfach, dass man sich ans Bett eines sterbenden Menschen setzt, um Trost zu spenden. Es ist viel mehr: In einer gelungenen Sterbebegleitung geht es letztlich immer auch um Deutung und Auslegung der Existenz. So verstandene Sterbebegleitung fragt nach dem, was Menschen im Leben und im Sterben trägt, was sie ermutigt, ihnen Sinn und Inhalt gibt, kurz: alles, was ihrer Seele jetzt guttut. Und hierzu genügt ein Crash-Kurs in Sterbebegleitung einfach nicht.

Zur Person:

Daniel Kallen
Daniel Kallen © zVg

Daniel Kallen hilft Sterbenden bereits seit mehr als 30 Jahren. Dem Sterbebegleiter liegt eine freie, wertschätzende, empathische, interessierte und aufrichtige Begegnung zwischen ihm und dem sterbenden Menschen am Herzen. Nun hat er auch ein Buch über seine Arbeit geschrieben: «Jeder Mensch stirbt nur einmal. Begegnungen am Sterbebett» (Zytglogge, Basel), in dem er von seinen vielfältigen Begegnungen am Sterbebett erzählt.

 

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