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Fahrtauglichkeitstest bei Senioren: Wie sinnvoll sind Sicherheitschecks?

Seit den 1970er-Jahren müssen Personen ab 75 in der Schweiz alle zwei Jahre ihre Fahrtauglichkeit medizinisch überprüfen lassen. Damit ist die Schweiz Deutschland und Österreich etwas voraus, wo es diese Regelung nicht gibt. Doch fahren alte Menschen hier wirklich sicherer? Die Unfallzahlen sprechen eine andere Sprache: Noch immer verunfallen viel zu viele Seniorinnen und Senioren hinter dem Steuer. Wie sinnvoll sind also die Sicherheitschecks?

Im Alter schwindet die Fähigkeit, Gefahrensituationen rechtzeitig zu erkennen.  © Rike_ / Getty Images/iStockphoto
Im Alter schwindet die Fähigkeit, Gefahrensituationen rechtzeitig zu erkennen. © Rike_ / Getty Images/iStockphoto © Getty Images/iStockphoto

Fahrtauglichkeitstest bei Senioren – das Wichtigste in Kürze: 

Walter fährt schon sein ganzes Leben lang Auto. Der 85-Jährige war noch nie in einen Unfall verwickelt. Bis Montagmorgen. Es herrschte Nebeldunst, was die Sicht erschwerte. Walter krachte aus unerklärlichen Gründen gegen eine Hauswand. Zum Glück erlitt er nur leichte Verletzungen. Solche Irrfahrten sind jedoch nicht ungewöhnlich. Im Dezember durchbrach ein 80-Jähriger in Uffikon LU eine Leitplanke, einen Zaun und landete auf dem Schulhausplatz. In Birsfelden BL krachte ein 80-Jähriger mit seinem Auto in eine Hausmauer und verletzte sich. In Menzingen ZG stürzte ebenfalls ein Senior mit seinem Auto eine steile Böschung hinunter und überschlug sich mehrmals. Der Mann starb später an den Folgen seiner Verletzungen.

Um solche Unfälle zu verhindern, müssen Autofahrer ab 75 Jahren alle zwei Jahre zu medizinischen Checks. Doch fast jede Woche melden Polizeistellen Unfälle, bei denen Seniorinnen und Senioren involviert waren. Menschen ab 65 Jahren gehören dabei zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Im Jahr 2021 kamen in der Schweiz 150 Fahrzeuglenker ums Leben, 57 waren über 65 Jahre alt. Nun stellt die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) erstmals die medizinischen Checks für Ältere infrage. Was bringen diese Tests?

Was wird bei einem Fahrtauglichkeitstest gemacht?

Der Arzt, der sich auf Verkehrsmedizin spezialisiert hat, führt die Untersuchungen durch. Er überprüft, ob die Person an irgendwelchen Krankheiten leidet, ob ihr Sehvermögen noch in Ordnung ist und ob sie in Bezug auf Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit nachgelassen hat.

Wann wurden Fahrtauglichkeitstests eingeführt?

In den 1970er-Jahren wurden medizinische Kontrollen eingeführt. Hausärzte sollten abklären, ob ältere Autofahrerinnen und Autofahrer noch medizinische Mindestanforderungen für das Autofahren mitbringen. Zuerst mussten Ältere ab 70 Jahren zum Test antraben und seit dem Jahr 2019 ab 75 Jahren.

Braucht es einen Fahrtauglichkeitstest?

Eine Untersuchung des BFU stellt die Checks infrage. Sie reduzieren weder die Zahl der schweren Unfälle im Schweizer Strassenverkehr, noch kann das BFU «positive Effekte» feststellen. Das BFU hält fest, dass das Aufgebot Seniorinnen und Senioren nicht zur Selbstreflexion über die eigene Fahrleistung nachdenken lässt.

Das BFU untersuchte Zahlen im Rahmen eines Ländervergleichs zwischen der Schweiz, Deutschland und Österreich. Die Nachbarländer Deutschland und Österreich kennen keine altersbedingten Kontrolluntersuchungen. Dennoch verursachen Seniorinnen und Senioren verhältnismässig gleich viele schwere Verkehrsunfälle wie die Schweiz.

Dennoch sind Verkehrsexperten der Meinung, dass es Checks braucht. Ohne ärztliche Kontrollen blieben Seniorinnen und Senioren unentdeckt, die längst nicht mehr ans Steuer gehörten, wird Rolf Seeger, Verkehrsmediziner an der Universität Zürich, in einem Bericht der Sonntagszeitung zitiert.

Ein 80-Jähriger landete in Uffikon LU auf dem Schulhausplatz. © Polizei Luzern
Ein 80-Jähriger landete in Uffikon LU auf dem Schulhausplatz. © Polizei Luzern © Rike_ / Getty Images/iStockphoto

Diese Fragen zur Fahrtauglichkeit helfen für die Selbsteinschätzung

Es gibt Selbsttest, die jede Person zu Hause durchführen kann. Das BFU hat auf seiner Webseite einen Fahrsicherheitscheck. Der Check besteht aus sechs Themen. Wichtig zu wissen: Er ersetzt keine medizinische Untersuchung. Neben den medizinischen Kontrollen, die Ihre Eltern besuchen müssen, können Ihre Eltern sich immer wieder unten stehende Fragen stellen. Sie geben erste Hinweise darauf, ob die eigene Fahrtüchtigkeit noch gegeben ist.

  • Nehme ich Verkehrsteilnehmer erst im letzten Moment wahr?
  • Werde ich bei dichtem Strassenverkehr und im Kreisel nervös?
  • Habe ich Mühe, Verkehrsschilder rechtzeitig zu erkennen?
  • Bin ich unsicher, welche Höchstgeschwindigkeit gilt?
  • Reagiere ich in heiklen Situationen langsamer als früher?
  • Werde ich innerorts häufig überholt?
  • Raten mir Bekannte, den Fahrausweis abzugeben?

Warum lässt die Fahrtauglichkeit im Alter nach?

Seniorinnen und Senioren sind im Alter weniger beweglich. Oft nehmen die kognitiven Fähigkeiten sowie das Seh- und Hörvermögen mit der Zeit ab.

Sehvermögen

Wer schlechter sieht, nimmt die Fahrbahnen und andere Verkehrsteilnehmer anders wahr. Auch Gefahrensituationen werden anders bewertet. Mangelnde Sicht kann schnell zu Unfällen führen, was auch unter Einfluss von Alkohol nicht selten der Fall ist. Das Problem beim Autofahren im Alter ist, dass viele Menschen ihre Sehschwäche nicht als Schwäche empfinden. Wer schlechter sieht, hat nicht von heute auf morgen ein schlechteres Sehvermögen: Es ist ein schleichender Prozess. Das Sehvermögen kann bei jedem Optiker oder Augenarzt überprüft und im Normalfall auch gut ausgeglichen werden.

Hörvermögen

Ähnlich verhält es sich mit dem Hören. Schlechte Hörfähigkeit führt zu einer schlechteren Wahrnehmung von Hupen und Klingeln. Ein HNO-Arzt kann das Hörvermögen untersuchen.

Bewegung

Mit steigendem Alter wird man unbeweglicher. Einfache Bewegungen, wie das Drehen des Kopfes, fallen einem plötzlich schwer. Dies führt dazu, dass auch das Einparken des Autos immer schwieriger wird.

Welche Medikamente beeinflussen die Fahrtüchtigkeit?

In der Schweiz gibt es rund 3500 Medikamente, die die Fahrfähigkeit beeinträchtigen können. Darunter auch rezeptfreie, die man in der Apotheke kaufen kann. Jeder, der unter Medikamenten Auto fahren will, sollte sich vorher mit seinem Arzt in Verbindung setzen. Erwähnen sollte man auch rezeptfreie Medikamente, die man zusätzlich zu den verordneten Medikamenten in Eigenregie einnimmt.

Denn auch Medikamente ohne Rezept können die Fahrsicherheit beeinträchtigen. Ausserdem können sie zu ärztlich verordneten Medikamenten in Wechselwirkung treten und unangenehme Nebenwirkungen hervorrufen. Schmerzmedikamente dämpfen die Reaktion und machen weniger aufmerksam. Man fühlt sich benommen, leidet unter Stimmungsschwankungen und sieht schlechter. Hustenmittel enthalten häufig Codein. Codein wirkt ähnlich wie Opium dämpfend und schmerzstillend.

Weitere Medikamente, die die Fahrtüchtigkeit einschränken können:

  • Schlaf- und Beruhigungsmittel
  • Psychopharmaka
  • Narkosemittel
  • Medikamente gegen Diabetes oder hohen Blutdruck

Führen Medikamente zum Führerscheinentzug?

Wichtig ist: Wer Auto fährt, muss fahrfähig sein. Das gilt auch für Personen, die Medikamente einnehmen. Wer den Ratschlag von Ärztinnen und Ärzten zum Einfluss von Medikamenten missachtet, muss mit Konsequenzen rechnen. Dazu zählen zum Beispiel:

  • Führerausweis abgeben
  • Blutprobe
  • Ärztliche Untersuchung
  • Fahrausweisentzug
  • Geldstrafen
  • Versicherungsrechtliche Rückforderung. wenn der Unfall grobfahrlässig herbeigeführt worden ist.

Ältere Personen, die ein neues Medikament einnehmen, das körperlich beeinträchtigen kann, sollten mehrere Tage lang nicht Auto fahren, um sicherzugehen, dass keine Nebenwirkungen auftreten.

Wie erkennen Angehörige unsicheres Fahren?

Nicht nur Seniorinnen und Senioren können sich Fragen zur Fahrtüchtigkeit stellen. Auch Angehörige sollten auf folgende Faktoren achten, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre älteren Eltern nicht mehr ganz sicher fahren.

Die Person:

  • verfährt sich
  • vergisst das Ziel
  • hat Mühe, andere Fahrzeuge zu erkennen und Strassenschilder zu sehen
  • ist im Strassenverkehr ängstlich, verärgert oder verwirrt
  • fährt langsam oder zu schnell und schaut nicht in den Rückspiegel
  • ist innerhalb der letzten zwei Jahren gestürzt
  • war bereits in einen Unfall verwickelt
  • hat Angehörige, die aufgehört haben mitzufahren
  • verursacht Beinahe-Unfälle

Wie soll man seinen Eltern sagen, sie sollen den Fahrausweis abgeben

Seniorinnen und Senioren fühlen sich schnell entmündigt, wenn die eigenen Kinder ihnen sagen, sie sollen den Autoschlüssel für immer abgeben. Am besten ist es, wenn die Eltern selber merken, dass sie nicht mehr gut Auto fahren und von sich aus darauf verzichten möchten. Doch sich die eigene Fahrunfähigkeit einzugestehen, ist für Seniorinnen und Senioren häufig eine grosse Herausforderung. Oder sie geben es nicht gerne zu. Aber: Die Situation wird in Zukunft nicht besser. Sie wird riskanter. Früher oder später führt kein Weg daran vorbei, dass Ihre Eltern den Fahrausweis abgeben müssen.

Statt den eigenen Eltern Vorwürfe zu machen, ist es ratsam, Ich-Botschaften zu senden. «Liebes Mami, es gibt im Strassenverkehr immer wieder Situationen, die ich als brenzlig empfand. Wie ergeht es dir dabei?» Das Gegenüber fühlt sich ernst genommen und nicht angegriffen.

Wenn die Eltern nicht einsichtig sind, kann es hilfreich sein, eine dritte Person einzubeziehen. Ein Hausarzt oder eine Augenärztin kann den Eltern verdeutlichen, dass körperliche Defizite bestehen. Die Einschätzung einer neutralen Person wird häufig einfacher angenommen als die von nahestehenden Personen.

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