Pflege

Mit Hilfe des Entlastungsdienstes zu Hause leben, solange es möglich ist

Sonja und Jessica Levy ermöglichen ihrer demenzerkrankten Mutter das Leben im vertrauten Umfeld. Sie müssen fast ihr gesamtes Vermögen aufwenden, um ihre Mutter zu Hause zu pflegen.

Sonja und Jessica Levy ermöglichen ihrer demenzerkrankten Mutter das Leben im vertrauten Umfeld.
Sonja und Jessica Levy ermöglichen ihrer demenzerkrankten Mutter das Leben im vertrauten Umfeld. © zVg

Im Sommer 2015 wurde Karen Levy auf Demenz getestet, und im Oktober erhielt sie die Diagnose. Lange Zeit konnte sie ihren Alltag ohne Unterstützung in ihrem eigenen Zuhause bewältigen. Ihre Töchter Jessica, 43 Jahre, und Sonja, 41 Jahre, waren für sie da, wenn sie Hilfe benötigte. Im Sommer 2020 brach sie sich den Oberschenkelhals. Das änderte alles. Karin Levy benötigte nun durchgängige Betreuung. Es war für Sonja nicht leicht, ihre Mutter in fremde Hände zu geben, doch als Susanne Egger vom Entlastungsdienst erschien, fühlte sie sich sofort erleichtert. «Ich wusste sogleich, dass ich nun ohne Bedenken weggehen kann.»

«Der Entlastungsdienst ist Gold wert»

Die richtigen Betreuungspersonen zu finden, war ein Prozess. Nun hat sich ein gutes Team von verschiedenen Personen gebildet, darunter drei Betreuungspersonen vom Entlastungsdienst Schweiz – Kanton Zürich. Von Emil Koszo ist Karin Levy so begeistert, dass sie mehrere Stunden vorher schon am Fenster nach ihm Ausschau hält oder sogar ausbüxt, um ihm entgegenzugehen. Sie kochen zusammen, kaufen ein und spazieren dem Rhein entlang. Mit klaren Aufgabenteilungen hat die Familie gute Erfahrungen gesammelt. So teilen sich die Töchter ihre Zuständigkeiten auf – Jessica regelt alles, was Finanzen und Ämter betrifft und Sonja die Betreuung. Jessica berichtet: «Der Entlastungsdienst ist Gold wert. Einerseits ist meine Mutter aufgestellt und hat keine depressiven Verstimmungen mehr, und andererseits können wir Töchter unser eigenes Leben führen.» Zudem sind sich die beiden Schwestern durch die Betreuung der Mutter sowie durch die damit verbundenen Gespräche und auch Diskussionen näher als je zuvor.

Irgendwann ist das Geld aufgebraucht

Karin Levy möchte so lange wie möglich zu Hause leben. Die Töchter sind sicher, dass sich ihr Gesundheitszustand beim Eintritt in ein Heim verschlechtern würde, das konnten sie bereits beim Spitalaufenthalt beobachten. Und dennoch führt früher oder später nichts daran vorbei. Die Familie will den Betreuungspersonen faire Löhne zahlen, möglich ist das nur mit Vermögensverzehr. Die Tarifreduktionen beim Entlastungsdienst verschaffen mehr Zeit, doch irgendwann wird das Geld aufgebraucht sein (siehe Box). Jessica Levy kritisiert: «In der Schweiz kannst du dir nur leisten, krank alt zu werden, wenn du reich oder arm bist. Es gibt keinen Mittelweg. Entweder du bezahlst alles selbst und kannst kaum etwas abrechnen oder du erhältst beschränkte Ergänzungsleistungen vom Staat. Es ist richtig, dass wohlhabende Betroffene nicht begünstigt werden, aber unsere Mutter ist wie viele andere nicht reich, und für die Krankheit können die Betroffenen ja auch nichts.»

Karin Levy ist gezwungen, für das Leben zu Hause den Grossteil ihres Vermögens aufzubrauchen. Ihre Töchter müssen damit leben, dass sie ihre Mutter in ein Heim geben müssen, sobald das Geld aufgebraucht ist. Das ist für alle eine schwierige Vorstellung.«Es war ein Segen, während der Coronakrise unsere Mutter zu Hause betreuen zu können», sagt Sonja Levy. «Sie wäre andernfalls an einem Ort gewesen, den sie nicht kennt, umgeben von fremden Personen. Und wir hätten sie nicht besuchen dürfen.» Unterdessen ist ihre Mutter geimpft und die Situation in den Heimen hat sich stabilisiert. Erleichtert sind die Töchter zudem, dass sie unterdessen ein passendes Heim für Demenzbetroffene gefunden haben. Damit wird das Unausweichliche erträglicher.

Karin Levy möchte so lange wie möglich zu Hause leben.
Karin Levy möchte so lange wie möglich zu Hause leben. © zVg

Früh genug vorsorgen

Jessica Levy rät allen, sobald eine Demenzdiagnose da ist, eine Patientenverfügung und einen Vorsorgeauftrag zu erstellen sowie den Angehörigen alle nötigen (General-)Vollmachten zu erteilen. Das kläre und erleichtere viele Herausforderungen, die auf die Angehörigen zukommen würden.

In die Zukunft schauen die Töchter mit gemischten Gefühlen. «Es ist eine Errungenschaft der modernen Medizin, dass wir heute so alt werden. Alle möchten möglichst lange und selbstbestimmt leben», sagt Jessica Levy und ergänzt: «Mir fehlen regional verfügbare Übergangssituationen wie z. B. gemeinschaftliches Wohnen. Meine Mutter braucht keine Pflege, sondern Betreuung.» Damit ein längeres Daheimbleiben möglich sei, ohne all sein Erspartes aufzubrauchen, brauche es etwas wie die Assistenzbeiträge für Menschen mit Behinderungen. Zu Hause leben, so lange man möchte, dürfe keine Frage des Geldes sein.

Was sind Tarifreduktionen? 

 «Es ist uns ein Anliegen, dass alle, die Entlastung und Betreuung zu Hause benötigen, sich diese auch leisten können», sagt Julia Hoppe, Leiterin Geschäftsstelle Entlastungsdienst Schweiz. Der Entlastungsdienst berechne Betreuungskosten, die «deutlich unter den Vollkosten» liegen würden.  Die Kosten werden den Kunden direkt verrechnet. Je nach Situation können diese Auslagen zum Teil durch Beiträge der AHV/IV (Hilflosenentschädigung, Intensivpflegezuschlag, Ergänzungsleitungen), Krankenkasse oder Sozialhilfe finanziert werden. Bei wenig Einkommen gewährt der Entlastungsdienst Tarifreduktionen. Mittels eines Formulars sowie der letzten definitiven Steuerveranlagung wird der Anspruch berechnet. Der Entlastungsdienst ist eine Non-Profit-Organisation und wird von Stiftungen, Spender und Spenderinnen und dem Staat getragen. Weitere Informationen gibt es hier.

Der Beitrag ist erstmals 2021 vom Entlastungsdienst Kanton Zürich veröffentlicht worden. Seit Frühling 2022 lebt Frau Levy in einem Heim.

Sie möchten wissen, wie die Arbeit der Mitarbeiter des Entlastungsdienstes aussieht? Erfahren Sie hier mehr.

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