Nein sagen ohne Reue: Warum Absagen so wichtig sind
Viele Menschen finden es schwer, Nein zu sagen, weil sie Konflikte vermeiden wollen. Das Bedürfnis, gemocht und akzeptiert zu werden, führt oft zu der Sorge, dass eine Ablehnung die Beziehung zu anderen schädigen könnte. Warum die Ängste unbegründet sind und Sie trotzdem öfter Nein sagen sollten, erfahren Sie in diesem Artikel.
Nein sagen – das Wichtigste in Kürze:
- Wer öfters Nein sagt, bleibt nicht nur authentisch, er setzt auch gesunde Grenzen. Weitere Vorteile
- Gezielte Übungen können helfen, öfters Nein zu sagen und selbstbewusster zu werden. Zu den Übungen
- Wer Nein sagt, sollte darauf achten, dass die Botschaft klar und unmissverständlich, aber gleichzeitig höflich und respektvoll übermittelt wird. Diese Strategien helfen
Wer kennt das nicht? Die Einladung zu einer Klassenzusammenkunft mit alten Schulfreunden oder der Jass-abend mit Kolleginnen, bei dem man innerlich schon im Vorfeld spürt, dass man lieber fernbleiben würde. Doch die Angst vor den möglichen Konsequenzen einer Absage lässt uns zögern und führt oft dazu, dass wir – trotz unserer eigentlichen Wünsche zusagen.
Eine Studie der US-amerikanischen West Virginia Universität zeigt, dass 77 Prozent der Befragten sich schon einmal widerwillig auf den Weg zu einer Verabredung gemacht haben. Grund dafür war die Befürchtung, eine Absage könnte zu negativen Reaktionen führen. Doch diese Ängste sind meist unbegründet. Das zeigen die Forschungsergebnisse der Studie, die im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht wurden.
Die Forschenden führten fünf Experimente mit mehr als 2000 Teilnehmenden durch, in denen sie unterschiedliche Einladungsszenarien simulierten. Einige Teilnehmende mussten eine Einladung ausschlagen, andere erhielten die Absage. Die Gründe für das Nein waren durchweg nachvollziehbar: Die Eingeladenen hatten bereits tagsüber viele Pläne und wollten den Abend entspannt zu Hause verbringen.
Die Angst, eine Verabredung abzusagen, ist weitverbreitet. Viele befürchten, dass das Gegenüber enttäuscht oder sogar wütend sein könnte und zukünftige Einladungen ausbleiben könnten. Interessanterweise zeigte sich, dass diese Angst selbst in engen Beziehungen vorherrscht, unabhängig von deren Dauer.
Doch die Reaktionen der abgesagten Personen waren weit weniger dramatisch als angenommen. Statt sich auf die Absage zu konzentrieren, interessierten sie sich mehr für die dahinterstehenden Gründe der Entscheidung. Die negativen Folgen einer Absage würden von den Eingeladenen regelmässig überschätzt, schlussfolgern die Forschenden.
In Zeiten von Freizeitstress und drohendem Burn-out könne es also sinnvoll sein, gelegentlich Nein zu sagen. Das Nein-Sagen könne dabei helfen, Überlastung zu vermeiden und sollte als Form der Selbstfürsorge verstanden werden, schreiben die Forschenden. Trotz dieser Erkenntnisse betonen sie aber die Bedeutung sozialer Beziehungen. Ein gesundes Mass an Treffen kann Beziehungen stärken und zum eigenen Wohlbefinden beitragen. Die Kunst liege darin, ein Gleichgewicht zu finden und mit gutem Gewissen auch mal eine Pause einzulegen, wenn es die Situation erfordere. Doch wann sagt man Nein und wann Ja?
Warum Nein sagen wichtig für die Psyche ist
Die Fähigkeit, Nein zu sagen, ist ein wesentlicher Faktor für die Aufrechterhaltung einer gesunden Psyche. Menschen, die Nein sagen, setzen Grenzen, schützen ihre Zeit und Ressourcen und stehen authentisch zu ihren Werten und Prioritäten.
Was bedeutet Nein sagen?
Nein sagen definiert der Duden als die Zurückweisung einer Anfrage oder eines Angebotes durch das Wort «nein». Diese Handlung ist aber mehr als eine einfache verbale Antwort; sie ist eine entscheidende kommunikative Fähigkeit, die es Menschen ermöglicht, persönliche Grenzen zu wahren und sich gegen unerwünschte Anforderungen oder Druck zu behaupten.
Selbstbehauptung stärken: Übungen zum Erlernen des Nein-Sagens
Nein sagen kann nicht jeder, aber jeder kann es lernen. Die nachstehenden Übungen helfen, die Selbstwahrnehmung zu verbessern, das Selbstvertrauen zu stärken und effektive Kommunikationsstrategien zu entwickeln. Zwei Übungen:
Rollenspiel
Diese Übung kann allein vor einem Spiegel oder mit einem Partner durchgeführt werden. Erstellen Sie Szenarien, in denen Sie typischerweise Schwierigkeiten haben, Nein zu sagen – zum Beispiel eine zusätzliche Aufgabe am Arbeitsplatz oder eine soziale Verpflichtung, die Sie eigentlich meiden möchten. Üben Sie, in diesen Szenarien klar und bestimmt Nein zu sagen. Konzentrieren Sie sich dabei auf Ihre Körperhaltung, Ihre Stimme und auf den direkten Blickkontakt. Dies hilft Ihnen, sich an das Gefühl zu gewöhnen, Nein zu sagen und dabei Selbstsicherheit auszustrahlen.
Grenzen setzen
Setzen Sie sich in einer ruhigen Minute hin und schreiben Sie auf, bei welchen Anfragen oder Situationen Sie in der Vergangenheit Ja gesagt haben, obwohl Sie eigentlich Nein sagen wollten. Reflektieren Sie dann, warum es Ihnen schwerfiel, Nein zu sagen, und überlegen Sie, wie ein Nein in diesen Situationen angemessen hätte formuliert werden können. Üben Sie diese formulierten Nein-Antworten laut. Das Aufschreiben und Aussprechen hilft dabei, sich mit den eigenen Grenzen vertraut zu machen und diese zukünftig besser zu kommunizieren.
Kindern auf positive Weise beibringen, Nein zu sagen
Es ist entscheidend, Kindern früh beizubringen, dass ihre Meinungen und Gefühle Wert haben und dass es in Ordnung ist, Nein zu sagen. Dies stärkt nicht nur ihr Selbstbewusstsein, sondern lehrt sie auch, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und zu respektieren.
Beispiel: «Es ist absolut in Ordnung, wenn du Nein sagst, wenn du etwas nicht willst. Deine Gefühle sind wichtig, und ich bin immer hier, um zuzuhören und dich zu unterstützen.»
Formulierungen: Wie man Nein sagt und dabei klar und höflich bleibt
Wer Nein sagt, sollte darauf achten, dass die Botschaft klar und unmissverständlich, aber gleichzeitig höflich und respektvoll übermittelt wird. Hierbei kann eine Struktur helfen, die als «Sandwich-Technik» bekannt ist: Beginnen Sie mit einer positiven Bemerkung oder einem Dankeschön, folgen Sie dann mit Ihrer Ablehnung und schliessen Sie mit einem alternativen Vorschlag oder einer freundlichen Bemerkung ab.
Beispiele:
- «Ich schätze Ihre Einladung sehr, aber ich muss diesmal leider ablehnen. Ich benötige etwas Ruhe. Lassen Sie uns aber gerne einen anderen Termin finden, der für uns beide passt.»
- «Ich verstehe, dass du meine Unterstützung brauchst, und normalerweise würde ich nicht zögern zu helfen. Jedoch muss ich momentan auf meine Gesundheit achten. Vielleicht können wir eine andere Lösung finden, wie zum Beispiel professionelle Dienste in Anspruch nehmen.»
- «Ich fühle mich geehrt, dass Sie an mich denken und mir diese Aufgabe anvertrauen wollen. Jedoch versuche ich momentan, meine Verpflichtungen zu reduzieren, um meinen Alltag bewältigen zu können.»
- «Danke für das Angebot, aber ich bin nicht interessiert. Bitte nehmen Sie mich von Ihrer Anrufliste. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.»
- «Ich bin gerne bereit zu helfen, wo ich kann, aber im Moment ist es für mich nicht möglich, finanzielle Unterstützung zu leisten. Ich bin sicher, dass es andere Wege gibt, wie ich beitragen kann.»
- «Ich weiss, dass dir das viel bedeutet, aber ich fühle mich damit nicht wohl. Können wir vielleicht eine Alternative finden, die uns beiden Spass macht?»
- «Ich unterstütze dich in vielen Dingen, aber in diesem Fall habe ich das Gefühl, dass ich nicht die richtige Person bin, um dir zu helfen. Ich bin mir sicher, du findest jemanden, der dafür besser geeignet ist.»
Nein sagen ohne Begründung
Nicht immer muss man zu einem Nein eine Begründung geben. Ein einfaches Nein dient dazu, persönliche Grenzen zu setzen und die eigene Autonomie zu wahren. Diese Praxis ist besonders in Situationen nützlich, in denen eine Begründung zu weiteren Diskussionen oder gar Konflikten führen könnte oder wenn man überzeugt ist, dass eine Erklärung nicht angemessen oder erforderlich ist.
Um dies effektiv zu tun, ist es wichtig, direkt und selbstbewusst zu sein. Ein schlichtes «Nein, danke» oder «Das werde ich nicht machen können» kann ausreichend sein. Es ist zu beachten, dass es nicht immer notwendig ist, seine Entscheidungen zu verteidigen oder zu rechtfertigen. Das Nein-Sagen ohne Begründung respektiert die eigene Zeit und Entscheidungsfreiheit und kommuniziert klar und respektvoll gegenüber anderen, dass die Angelegenheit für einen selbst abgeschlossen ist.
In beruflichen oder privaten Beziehungen kann diese Art der Kommunikation dazu beitragen, die eigene psychische Gesundheit zu schützen und Überforderung zu vermeiden. Es setzt voraus, dass man verinnerlicht hat, dass das eigene Nein ein vollständiger Satz ist und keine weiteren Erklärungen bedarf.