Zusammenleben

Muttertag allein verbringen: vom Fluch zum Segen

Der Muttertag ist für viele Mütter, die sich nach mehr Nähe und Anerkennung sehnen, ein Tag voller Vorfreude. Doch wenn die ersehnten Glückwünsche oder gemeinsame Unternehmungen ausbleiben, kann die Enttäuschung tief sitzen. Glücklicherweise gibt es Wege, die eigenen Erwartungen bewusst zu steuern und Feiertage auf neue, bereichernde Weise zu erleben. Psychologin Joëlle Gut-Lützelschwab bietet wertvolle Ratschläge an, wie man diesen besonderen Tag auch jenseits traditioneller Erwartungen positiv gestalten kann.

Eine ältere Frau sitzt allein am Tisch.
Viele Mütter freuen sich am Muttertag auf einen Blumenstrauss – geht er vergessen, ist die Enttäuschung gross. © Hanafujikan / iStock / Getty Images Plus

Im Arbeitsstress und Terminchaos vergisst man leicht den Muttertag, und für einen kurzfristigen Blumenstrauss ist es zu spät. Zudem ist der Abend bereits mit Freunden und der eigenen Familie verplant, eine spontane Einladung der Mutter ist deswegen unmöglich. Das Vergessen des Muttertags geschieht oft nicht aus Böswilligkeit, sondern wegen anderweitiger Verpflichtungen. Manche Kinder haben auch kein Interesse, den Tag zu feiern. Die Psychologin Joëlle Gut-Lützelschwab aus Biel BE erläutert die Gründe für solche Distanzierungen und deren mögliche Auswirkungen.

Meineeltern.ch: Kein Glückwunsch zu Muttertag, kein Blumenstrauss. Wie können ältere Menschen an Muttertag mit der Enttäuschung umgehen, wenn erwachsene Kinder den Muttertag vergessen oder nicht an ihm teilnehmen möchten?

Joëlle Gut-Lützelschwab: Es gibt die Möglichkeit, sich als Mutter zu schützen. Die Methode dazu heisst: Nicht zu viel von unseren Kindern erwarten! So sind sie nicht enttäuscht, wenn sich die eigenen Vorstellungen nicht erfüllen. Darüber hinaus besteht dann die Möglichkeit, positiv überrascht zu werden!

Mütter sollten nicht zu viel von ihren Kindern erwarten.

Manche erwachsenen Kinder wünschen nur wenig Kontakt zu den eigenen Eltern. Was ist darüber bekannt, wann Angehörige Distanz suchen?

Wichtig ist es zu verstehen, weshalb Distanz zwischen Kindern und Eltern herrscht. Vielleicht hat die Ablösung noch nicht stattgefunden. Dann kann es sein, dass dieser Prozess erst später erfolgt, und dann ist es gut, den erwachsenen Kindern diese Zeit zu geben, aber immer wieder auch zu signalisieren, dass wir als Eltern da sind, wenn sie Kontakt möchten. Dies kann in Form von kleinen WhatsApp-Mitteilungen sein, aber auch von Karten zum Geburtstag etc. Oftmals wirken unausgesprochene Kränkungen oder Missverständnisse, die im Laufe des Lebens entstanden und noch nicht gelöst sind, nach.

Wird die Distanz immer von beiden Seiten gleich wahrgenommen?

Nein. Während die Mutter sich vielleicht mehr Nähe wünscht und unter der von ihr wahrgenommenen Distanz leidet, haben die erwachsenen Kinder möglicherweise in ihrem Leben aktuell viel Stress. Sie haben dann nicht den Eindruck, emotional distanziert zu sein, sondern sind in ihre Alltagspflichten abgetaucht.

Viele erwachsene Kinder sind im Stress und vergessen den Muttertag.

Wie sollten Eltern mit den Distanzierungswünschen ihrer erwachsenen Kinder umgehen, wenn sie ausdrücklich formuliert werden?

Gemeinsame Gespräche sind wichtig, um zu vermeiden, dass sich neue Verletzungen anbahnen und in der Familie eine ungute Stimmung entsteht. Es ist einfacher, etwas zu akzeptieren, wenn wir es einordnen und verstehen können. In schwierigeren Fällen ist eine Beratung bei einer systemischen Fachperson der Familientherapie sinnvoll.

Welche Folgen hat ein Kontaktabbruch auf die Mutter-Kind-Beziehung?

Ein Kontaktabbruch zur eigenen Mutter kann gerade dann, wenn man selbst Mutter ist, sehr schade sein. Denn mit dem Eintritt in den Lebensabschnitt des Mutterseins werden Erinnerungen an die eigene Kindheit wieder wachgerüttelt und können – wenn Kontakt besteht – thematisiert werden. Bei einem Kontaktabbruch ist dies dagegen nicht möglich. Zudem können Grosseltern auch eine sehr wertvolle Ressource für das Betreuen der Kinder und eine emotionale Unterstützung sein. Fehlt diese, ist es umso wichtiger, ein anderes gutes soziales Netz aufzubauen.

Was tun, wenn umgekehrt zum Beispiel Väter ihre Kinder nicht sehen wollen?

Bei einem Kontaktabbruch fehlt den Kindern ein Elternteil und damit eine vertraute Bezugsperson. Die Familie als Ort der Geborgenheit kann Halt geben. Wenn Väter ihre Kinder nicht sehen wollen, dann sind häufig eigene Themen zentral – zum Beispiel eine psychische Erkrankung, Überforderung oder aber ein laufender Scheidungskrieg, eine neue Beziehung.

An Feiertagen ist der Wunsch nach Harmonie besonders gross. 

Oft treten Familienkonflikte an Feiertagen wie einem Muttertag auf: Wie lassen sich solche Konflikte vermeiden und bewältigen?

An Feiertagen ist der Wunsch nach Harmonie besonders gross. Je höher die Messlatte liegt, umso wahrscheinlicher werden Abweichungen. Um Konflikte an besonderen Tagen zu vermeiden, gibt es verschiedene Wege.

  1. Die Familienmitglieder können sich vor oder nach dem Feiertag treffen, um bewusst über die schwierigen Themen zu sprechen, und klammern diese dann bewusst am betreffenden Tag aus.
  2. Die Familienmitglieder definieren ein von allen akzeptiertes Mass für schwierige Themen. Was darüber hinaus geht, wird an Feiertagen nicht besprochen.
  3. Jede Person hat auch die Möglichkeit, sich selbst innerlich auf den Feiertag und das Familienevent vorzubereiten. Sie kann sich vor Augen führen, dass Konflikte ein Zeichen für Involviertheit und Engagement sind. Sie zeigen, dass wir uns für die anderen Familienmitglieder interessieren. Das Gegenteil davon wären Ignoranz und Distanziertheit. Was ist nun schlimmer?

Viele Mütter sind mit Alltagspflichten sehr belastet. Was sind Anzeichen eines Mama Burnouts und wie finden Betroffene Unterstützung?

Da gilt es, aufmerksam in sich hineinzuhorchen. Wichtige Anteile sind:

  • Ich fühle mich dauernd gestresst, energielos und antriebslos. Ich habe eventuell das Gefühl, ich kriege nichts mehr richtig hin.
  • Ich habe wenig Freude an meinem aktuellen Leben – was mir früher Spass gemacht hat, macht mir heute keinen Spass mehr.
  • Ich ziehe mich zurück und pflege kaum soziale Kontakte.
  • Ich habe vielleicht sogar Schlafprobleme, die nicht durch kleine Kinder verursacht sind.
  • Ich stelle mir Fragen, ob dieses geführte Leben für mich noch Sinn macht, und bin auch häufig deprimiert und niedergeschlagen.

Unterstützung können Psychologen, Psychotherapeutinnen oder auch als erste Anlaufstelle der Hausarzt oder die Hausärztin sein.

Stichwort Selbstfürsorge für Mütter: Welche Strategien gegen Überforderung gibt es? Wie lässt sich einem Mama Burnout – erkennen und vorbeugen?

Gerade alleinerziehende Mütter tragen die volle Verantwortung für die Entwicklung ihrer Kinder. Daher sollten sie ihren Energiehaushalt noch stärker im Auge behalten. Eine gute Strategie besteht darin, eine Agenda zu führen. Dabei lässt sich mit den Ampelfarben rot, orange, gelb vor Augen führen, welche Termine uns viel Energie kosten (rot), welche wir als neutral (orange) einschätzen und was unsere Batterien wieder aufladen kann (grün). Hat die Agenda überwiegend rote Fenster, dann müssen wir dringend etwas ändern, da dies Anzeichen für einen ungesunden Energiehaushalt darstellen. Das Ziel ist, mehr von den grünen Aktivitäten einzuführen.

Womit können grüne Zeitfenster ausgefüllt werden?

So kann zum Beispiel ein grünes Zeitfenster darin bestehen, sich selber etwas Gutes zu tun oder Kontakte zu etablieren, zum Beispiel sich mit anderen alleinerziehenden Müttern zu treffen und zu verbinden. Der soziale Austausch hilft zu sehen, dass es anderen Alleinerziehenden ähnlich geht.

Eine gute Selbstfürsorge ist ein gutes Mittel, um Feiertage alleine zu gestalten.

«Ich bin alleinerziehend am Muttertag: Was soll ich tun?», fragen sich Mütter in den sozialen Medien. Muttertag ohne Angehörige – geht das?

Selbstfürsorge ist ein gut geeignetes Mittel, um Feiertage allein zu gestalten. Eine Möglichkeit ist sicherlich, sich unter Freundinnen auszutauschen, und sich mit denen zu treffen und zusammenzuschliessen, die ebenfalls diesen Tag nicht mit ihrer Familie verbringen können.

Wie lässt sich das Netzwerk stärken: Haben Sie Tipps für alleinerziehende Mütter ohne Freunde?

Alleinerziehende Mütter können aktiv ihr Netzwerk stärken, indem sie selbst Initiative ergreifen. So können sie sich auf Portalen für Alleinerziehende anmelden und so in Kontakt kommen.

Wer seine Feiertage allein gestaltet – neue Ideen und Selbstfürsorge sind sicher gute Wege. Nur was tut gut?

Selbstfürsorge kann man an Feiertagen genauso wie an anderen Tagen gestalten. Grundsätzlich geht es darum, sich selbst etwas Gutes zu tun: ein Bad nehmen, einen Ausflug machen, einen Tee trinken, ins Kino gehen, ein Lieblingsessen kochen, backen oder bestellen. Oder eine Mini-Reise machen – zum Beispiel, um eine Freundin zu treffen, die weiter weg wohnt und die auch nicht verbucht ist.

Ist der Muttertag eigentlich noch zeitgemäss?

Muttertag geht auf die Antike zurück, in der Rhea, die Mutter von Zeus, geehrt wurde. Geprägt wurde der Muttertag dann in den USA, wo er 1914 erstmals als nationaler Feiertag gefeiert wurde. Auch heute noch gilt der Muttertag als Ausdruck von Dankbarkeit der Mutter gegenüber und familiärem Bewusstsein. Muttertag kann eine Gelegenheit sein, sich als Familie bewusst an diesem Tag zu treffen und Zeit miteinander zu verbringen.

Dankbarkeit kann man auch in den Alltag integrieren und zum Ausdruck bringen.

Gibt es Alternativen zum Muttertag – wie schafft man neue Traditionen?

Eine neue Tradition können wir schaffen, indem wir die Dankbarkeit und das Bewusstsein achtsam in den Alltag integrieren und zum Ausdruck bringen – ohne nationalen Feiertag.

Muttertag neu definiert: Wie feiert man sich selbst?

Es gibt Familien, die sich bewusst gegen diesen Tag entscheiden. Dafür treffen sie sich bei anderen Gelegenheiten – bei Geburtstagen, Namenstagen, in den Ferien. Sie schaffen sich schöne Rituale, um Freude am Zusammensein zu erleben und ihre Verbindung zu feiern.

Zur Person

Joël Gut
Joëlle Gut-Lützelschwab © zVg.

Joëlle Gut-Lützelschwab ist lizenzierte Familien- und Paartherapeutin, anerkannte Psychotherapeutin, Supervisorin und Dozentin. Die Mutter zweier Teenager-Kinder führt eine Praxis in Bern und Biel und macht auch online Beratungen.

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