Depression: Warum es Frauen häufiger trifft
Depression bei Frauen ist eine ernsthafte psychische Erkrankung, die durch eine Vielzahl von Symptomen charakterisiert wird. Wie erkennt man eine Depression als Angehörige und wie geht man mit Betroffenen um? Erfahren Sie mehr in diesem Artikel.
Erika, 67 Jahre alt, leidet unter Depressionen. Ihr Tag beginnt oft mühsam; das Aufstehen erfordert bereits einen Kampf gegen die überwältigende Müdigkeit und den Mangel an Antrieb, der sich wie ein grauer Schleier über ihren Morgen legt. Das Frühstück, einst eine Zeit des Genusses und der Familienzusammenkunft, ist nun eine stille Angelegenheit, bei der sie sich zwingen muss, ein paar Bissen zu essen. Anschliessend sitzt sie meist allein mit einer Tasse Tee am Küchentisch, verloren in Gedanken und umgeben von einer tiefen Leere. Die Stimmen ihrer Enkelkinder, die früher das Haus mit Freude erfüllten, scheinen jetzt weit entfernt. Kleine Aufgaben wie das Einkaufen oder Telefonate mit alten Freunden, die früher leicht von der Hand gingen, erscheinen ihr nun als unüberwindbare Hindernisse.
Depressionen manifestieren sich bei Frauen oft durch ein komplexes Zusammenspiel von psychischen, hormonellen und sozialen Faktoren, was ein eindeutiges Erkennen und eine gezielte Behandlung erschweren kann. Die Erkrankung geht weit über allgemeine Traurigkeit oder Stimmungstiefs hinaus und kann mit ernsthaften emotionalen, kognitiven und körperlichen Symptomen einhergehen, die die Lebensqualität signifikant beeinträchtigen.
Männer oder Frauen: Wer leidet häufiger unter Depressionen?
Frauen leiden häufiger an Depressionen als Männer. Das zeigen Zahlen des Bundesamt für Statistik. Verschiedene Faktoren tragen zu dieser Geschlechterdifferenz bei. Dazu gehören biologische, hormonelle, genetische und psychosoziale Faktoren.
«Schon im Kindesalter kann beobachtet werden, dass Jungen und Mädchen anders auf Belastungen reagieren. Jungen externalisieren mehr, werden aggressiv und zeigen sozial unangepasstem Verhalten. Mädchen zeigen eher Verhalten von Rückzug und passen sich an. Das hat mit erlerntem Sozialverhalten zu tun», sagt Psychologin Christa Dold aus Bern.
Depression: Wie zeigen sich bei Frauen die Symptome?
Bei Frauen können sich Depressionen mit verschiedenen Anzeichen äussern. «Wichtig ist es, zwischen einer kurzen Phase des Deprimiertseins – das kennen wir alle – und einer depressiven Erkrankung zu unterscheiden», sagt Christa Dold. «Bei der Depression sind die Symptome über einen längeren Zeitraum vorhanden, mindestens seit zwei Wochen, und verändern sich wenig, auch wenn z.B. etwas Schönes passiert. Typisch sind auch eine gedrückte Stimmung, Betroffene empfinden kein Interesse oder Freude an Dingen, die normalerweise positive Empfindungen auslösen und die Veränderung im Antrieb, das heisst die Personen fühlen sich ungewöhnlich müde.»
Symptome im Überblick:
Emotionale Veränderungen:
- Anhaltende Traurigkeit und Niedergeschlagenheit
- Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit
- Geringes Selbstwertgefühl und Schuldgefühle
- Vermindertes Interesse an zuvor genossenen Aktivitäten
Körperliche Symptome:
- Energieverlust und ständige Müdigkeit
- Veränderungen im Schlafmuster (Schlaflosigkeit oder übermässiges Schlafen)
- Gewichtsveränderungen (Gewichtszunahme oder -verlust)
- Körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Verdauungsprobleme
Kognitive Beeinträchtigungen:
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Entscheidungsunfähigkeit
- Vergesslichkeit
Verhaltensänderungen:
- Rückzug aus sozialen Kontakten
- Vernachlässigung von Hobbys und Interessen
- Reizbarkeit und Wutausbrüche
Psychosomatische Reaktionen:
- Anhaltende Anspannung oder Unruhe
- Häufiges Weinen
Symptome der Depression speziell bei Frauen
Die Symptome der Depression bei Frauen kann sich aus mehreren Gründen von der bei Männern unterscheiden. Hormonelle Veränderungen, wie sie während der Menstruation, Schwangerschaft, postpartalen Phase und Menopause auftreten, können das psychische Gleichgewicht beeinflussen und zu Depressionen beitragen. Diese Zeiten intensiver hormoneller Schwankungen können die Neurotransmitter im Gehirn beeinflussen, die für die Stimmungsregulation zuständig sind.
Auch gibt es psychosoziale Faktoren, die bei Frauen häufiger zu Depressionen führen können. «Es kann sein, dass Frauen auf schwere Belastungen eher mit Depressionen reagieren als Männer, oder dass sich Depressionen bei Männern anders manifestieren, zum Beispiel durch Reizbarkeit, Aggressivität, risikoreiches Verhalten oder Sucht», sagt Christa Dold.
Soziokulturelle Erwartungen und Rollenbilder spielen ebenfalls eine Rolle, die Frauen dazu bringen können, bestimmte Emotionen zu unterdrücken oder Konflikte nicht offen auszutragen. Diese ungelösten emotionalen Spannungen können sich in Form von depressiven Symptomen manifestieren.
Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass auch genetische Faktoren eine bedeutende Rolle in der Entwicklung von Depressionen spielen können. Forschende der australischen University of New South Wales stellten zum Beispiel fest, dass bestimmte Genvarianten, die mit der Regulierung von Stimmung und Emotionen in Verbindung stehen, möglicherweise häufiger bei Frauen auftreten und anders wirken könnten als bei Männern.
Die Rolle des Alters bei Depressionen
Die psychische Gesundheit befindet sich oft in direktem Zusammenhang mit den verschiedenen Lebensphasen und den damit verbundenen hormonellen Veränderungen. In der Pubertät, wenn die ersten hormonellen Umstellungen stattfinden, kann das Risiko für die Entwicklung einer Depression steigen. Ebenso sind Schwangerschaft und die Zeit nach der Geburt – bekannt als postpartale Phase – aufgrund der starken hormonellen Schwankungen kritische Zeiträume.
Mit fortschreitendem Alter können weitere Faktoren wie chronische Gesundheitsprobleme, Isolation, der Verlust von Angehörigen und der Übergang in den Ruhestand zu erhöhtem Stress führen, der wiederum das Risiko für Depressionen erhöht.
Doch warum sind manche ältere Personen resilient und erkranken nicht an Depressionen und andere wiederum schon? Christa Dold dazu: «Jede Person besitzt eine individuelle Anfälligkeit für Stress, die man sich wie ein Fass vorstellen kann: Jeder hat ein eigenes Fassungsvermögen, um mit Stress, Sorgen und Herausforderungen umzugehen, und bei manchen überläuft dieses Fass schneller als bei anderen. Lebensübergänge sind typischerweise Zeiten, in denen der Stresspegel – ob positiv oder negativ – steigt und die Kapazität unseres metaphorischen Fasses einer Belastungsprobe unterzogen wird. Im Alter werden wir durch verschiedene Faktoren herausgefordert, wie den Verlust von sozialen Kontakten, beruflicher Identität und körperlichen Fähigkeiten. Doch Menschen, die sich sozial gut vernetzt fühlen, die sich als nützlich erleben und aktiv bleiben, haben ein geringeres Risiko, an einer Depression zu erkranken.»
Werden Frauen in den Wechseljahren depressiv?
In den Wechseljahren erleben Frauen eine Phase intensiver hormoneller Veränderung, wenn die Produktion von Östrogen allmählich nachlässt. Diese hormonelle Umstellung kann nicht nur zu körperlichen Symptomen wie Hitzewallungen und Schlafstörungen führen, sondern auch das Risiko für depressive Verstimmungen erhöhen. Die Wechselwirkung von Hormonen und Stimmung ist komplex; Östrogen insbesondere scheint neuroprotektive Eigenschaften zu haben und die Aktivität von Neurotransmittern zu beeinflussen, die für die Regulation der Stimmung wichtig sind, wie Serotonin und Dopamin.
Wann sollte der Frauenarzt aufgesucht werden?
Eine Frauenärztin oder ein Frauenarzt kann eine wichtige Anlaufstelle für Frauen sein, die mit Depressionen kämpfen, insbesondere wenn es Hinweise darauf gibt, dass hormonelle Faktoren eine Rolle spielen könnten. Der Besuch beim Frauenarzt sollte erwogen werden, wenn:
- Stimmungsschwankungen oder depressive Symptome zeitlich mit dem Menstruationszyklus, einer Schwangerschaft, der postpartalen Phase oder den Wechseljahren zusammenfallen.
- Wenn eine Frau ungewöhnliche körperliche Symptome zusammen mit Stimmungsänderungen erlebt, wie z.B. extreme Müdigkeit oder Veränderungen im Menstruationszyklus.
- Wenn psychische Symptome nach einer neuen Verhütungsmethode oder Hormonbehandlung auftreten.
- Frauenärzte können eine Reihe von Unterstützungs- und Behandlungsmöglichkeiten anbieten oder die Patientinnen an entsprechende Spezialisten verweisen. Sie können auch hormonelle Therapien anpassen oder alternative Verhütungsmethoden vorschlagen, falls diese mit den Symptomen in Verbindung stehen.
Ist die Frauenärztin oder der Frauenarzt wirklich die richtige Anlaufstelle?
Wenn eine Patientin während eines Routinebesuchs beim Frauenarzt Anzeichen von Depression zeigt, kann die Ärztin oder der Arzt eine erste Bewertung vornehmen und bei Bedarf an einen Psychologen, eine Psychiaterin oder einen anderen Facharzt für psychische Gesundheit überweisen. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass, obwohl Gynäkologen eine unterstützende Rolle spielen können, die umfassende Behandlung einer Depression in der Regel die Expertise von Fachleuten erfordert, die auf psychische Gesundheit spezialisiert sind.
Ist eine Depression bei Frauen heilbar?
Eine Depression ist grundsätzlich eine behandelbare Erkrankung, und viele Menschen, einschliesslich Frauen, erfahren durch eine angemessene Behandlung eine signifikante Besserung ihrer Symptome. Die Behandlung kann Psychotherapie, Medikamente wie Antidepressiva, eine Kombination beider oder andere unterstützende Massnahmen umfassen. Die Prognose ist individuell verschieden und hängt von mehreren Faktoren ab:
- die Schwere der Depression
- der Zugang zu effektiver Behandlung
- Unterstützung durch Familie und Freunde
Wie gehe ich mit einer depressiven Frau um?
Der Umgang mit einer depressiven Person erfordert Feingefühl, Geduld und ein Verständnis der Erkrankung. Wenn Sie eine Frau in Ihrem Leben haben, die mit Depressionen kämpft, können folgende Tipps hilfreich sein:
Informieren Sie sich
Lernen Sie so viel wie möglich über Depressionen, um die Erkrankung besser zu verstehen. Dies hilft Ihnen, die Erfahrungen und Verhaltensweisen der betroffenen Person nachzuvollziehen.
Seien Sie präsent und geduldig
Geben Sie der betroffenen Frau zu verstehen, dass Sie für sie da sind, ohne sie zu drängen. Oft ist die blosse Präsenz und das Angebot, zuzuhören, bereits eine grosse Unterstützung.
Hören Sie zu
Geben Sie der depressiven Person Gelegenheit, über ihre Gefühle zu sprechen, ohne sie zu urteilen oder Lösungen aufzuzwingen. Manchmal ist das Beste, was Sie tun können, einfach zuzuhören.
Ermutigen Sie zu professioneller Hilfe
Unterstützen Sie die betroffene Person dabei, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das kann der Psychologe oder eine Psychiaterin.
Helfen Sie bei alltäglichen Aufgaben
Depressionen können es schwer machen, alltägliche Aufgaben zu bewältigen. Bieten Sie Hilfe an, zum Beispiel beim Einkaufen oder bei der Kinderbetreuung.
Setzen Sie gesunde Grenzen
Es ist wichtig, auch auf sich selbst zu achten. Setzen Sie Grenzen, um Ihre eigene psychische Gesundheit zu schützen.
Vermeiden Sie Schuldzuweisungen
Vermeiden Sie Aussagen, die die Person für ihre Erkrankung verantwortlich machen könnten, wie «Reiss dich endlich mal zusammen» oder «Andere haben es viel schwerer als du».
Bleiben Sie geduldig
Verstehen Sie, dass Besserung Zeit braucht. Drängen Sie die Person nicht, sondern erkennen Sie kleine Fortschritte an.
Unterstützen Sie einen gesunden Lebensstil
Ermutigen Sie zu regelmässiger Bewegung, ausgewogener Ernährung und ausreichend Schlaf, was alles die Symptome einer Depression lindern kann.
Seien Sie achtsam mit Kritik
Depressionen können das Selbstwertgefühl beeinträchtigen, seien Sie also besonders sensibel mit Kritik.
Zur Person
Christa Dold ist Psychologin und Psychotherapeutin in Bern.