Krankheiten

Delir – wenn ältere Menschen plötzlich verwirrt sind

Wenn ein nahestehender Mensch plötzlich verwirrt ist, den Wochentag oder die Tageszeit nicht kennt und die Umgebung nicht richtig wahrnimmt, sitzt der Schock tief. Was ist los? Bei einer so plötzlich auftretenden Verwirrtheit handelt es sich in der Regel um ein Delir. Was genau ist ein Delir? Was sind die Symptome? Wie wird ein Delir behandelt? Warum Menschen im Alter häufig betroffen sind, erfahren Sie in diesem Artikel.

Eine Seniorin blickt besorgt zur Seite.
Betroffene, die unter einem Delir leiden, können Halluzinationen haben.  © grandriver / E plus 

Delir  – das Wichtigste in Kürze: 

Die Mutter ist zu Boden gestürzt. Diagnose später beim Arzt: Oberschenkelbruch. Im Spital soll sie sich nach einer Operation erholen. Doch ein neues Problem tritt auf. Die Mutter findet sich nicht zurecht. Sie versteht nicht, wo sie ist, verwechselt die Tageszeit, ist unruhig und reagiert aggressiv. Sie hat ein Delir. 

Definition: Was versteht man unter einem Delir?

Ein Delir – auch Delirium genannt – ist eine akute Störung des Gehirns, die zu einer deutlichen Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten führt. «Ein besonders auffälliges Anzeichen, das sogenannte Leitsymptom, besteht in einer Bewusstsein- und Aufmerksamkeitsstörung», erklärt Dr. Stefan Brokatzky, Leitender Arzt der Klinik für Psychosomatik und Konsiliarpsychiatrie am Kantonsspital St. Gallen.

Welche Formen von Delir gibt es?

Es gibt unterschiedliche Formen. Klassischerweise wird der Delir, der durch Alkoholentzug entstehen kann, also Alkoholentzugsdelir, vom Nicht-Alkoholentzugsdelir unterschieden. Nicht-Alkoholentzugsdelir lässt sich in drei Kategorien einteilen:

- in die hyperaktive Form, die mit Aggressivität und Unruhe einhergeht (etwa ein Viertel der Delirien)

- in die hypoaktive Form, bei der Patienten und Patientinnen sehr müde und nicht ansprechbar sind und verzögert reagieren (etwa ein Viertel der Delirien)

- in die gemischte Form (etwa die Hälfte der Delirieren)

Wie äussert sich Delirium tremens?

Nach jahrelangem Alkoholmissbrauch kann ein Delirium tremens entstehen, und zwar dann, wenn der Alkohol plötzlich abgesetzt wird. Ein auffallendes Symptom ist das schnelle Zittern, das auch Tremor genannt wird.

Was ist der Unterschied zwischen Delir und Demenz?

«Zwischen Demenz und Delir zu unterscheiden, ist für Angehörige schwierig, zumal es ganz unterschiedliche Demenzformen gibt», sagt Stefan Brokatzky. «Doch Angehörige sind eine wichtige, sogar notwendige Informationsquelle für die Ärztin oder den Arzt.» Denn der Patient oder die Patientin kann im Delir Fragen nicht oder nur unzureichend beantworten.

Menschen im Delir:

  • sind örtlich und zeitlich weniger orientiert.
  • haben eine stärkere Bewusstsein- und Aufmerksamkeitsstörung.
  • entwickeln plötzlich Symptome – innerhalb von Stunden oder Tagen.
  • haben Symptome, die sich im Tagesverlauf nicht gleichmässig zeigen.
  • haben zerfahrene, beschleunigte oder verlangsamte Gedankengänge.
  • können unter Halluzinationen leiden.
  • sind tagsüber eher müde und schläfrig, abends und nachts aber wach und aktiv. Die Tag-Nacht-Umkehr tritt also verstärkt auf.
  • haben eine schlechtere Auffassung und das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigter.
  • fallen durch eine wechselhafte Psychomotorik auf. Das bedeutet die Wechselbeziehung von Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Bewegen und Verhalten. 

Menschen mit Demenz:

  • sind örtlich und zeitlich besser orientiert als Menschen mit Delir.
  • haben eine schwächere Bewusstsein- und Aufmerksamkeitsstörung.
  • entwickeln schleichend Symptome.
  • haben Symptome, die sich über Monate und Jahre fortschreitend entwickeln.
  • haben zusammenhängendere Gedankengänge.
  • haben keine Halluzinationen (Ausnahme ist die Lewy-Body-Demenz).
  • werden oft zwar am Abend unruhiger, doch die Tag-Nacht-Umkehr tritt gemässigter auf.
  • haben eine bessere Auffassung und das Kurzzeitgedächtnis ist besser erhalten.
  • haben eine stabilere Psychomotorik.

Welche Symptome sind typisch für einen Delir?

Stefan Brokatzky zählt folgende klassische Anzeichen auf:

  • Verkennung der Umgebung
  • Orientierungslosigkeit
  • Stimmungsschwankungen
  • Bewegungsdrang
  • Aggression
  • eine Tag-Nacht-Umkehr

Ein besonders typisches Anzeichen für ein Delir ist, dass sich seine Symptome nicht gleichmässig im Tagesverlauf zeigen. «Patienten und Patienten sind angespannt, aggressiv oder ängstigen sich vor ihrer Umgebung», sagt Stefan Brokatzky. «Sie erzählen zusammenhangslose Geschichten. Ausserdem spielen sie ständig am Infusionsschlauch herum oder nesteln an der Bettdecke. Nachts kommen sie nicht zur Ruhe, geistern auf der Station herum. Dann plötzlich legen sie sich hin und sind ruhig.» Spreche man sie auf die Eigentümlichkeiten an und führe sie zurück ins Zimmer, reagierten sie erstaunt oder manchmal auch aggressiv. «Es kann aber auch sein, dass sie einfach stumm im Bett liegen und auf Ansprache nur sehr verzögert reagieren.»

Patientinnen und Patienten sind angespannt, aggressiv oder ängstigen sich vor ihrer Umgebung. 

Wie kündigt sich ein Delir an?

Unkonzentriert zu sein und nicht zu verstehen, wo man ist und was passiert – das kann Anzeichen für ein Delirium sein. Ein Delir lässt sich nur durch eine klinische Untersuchung durch einen Arzt feststellen.

Welche Ursachen kann ein Delir haben?

Die Ursachen eines Delirs sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt Hinweise darauf, dass bei einem Delir ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter – wichtige Botenstoffe im Gehirn – vorliegt. Ferner kommt es zu einer Einschränkung der Blut-Hirn-Schranke. Je anfälliger eine Person ist, desto weniger braucht es, um einen Delir auszulösen.

Neben einer Demenz gehört das steigende Alter zu den wesentlichen Risikofaktoren. «Die Zahl der Erkrankten steigt deutlich ab dem 65. Lebensjahr und erheblich nach dem 85. Lebensjahr», erklärt Stefan Brokatzky.

Delir nach einer OP

Oft tritt ein Delir nach einer Operation auf, vor allem auf der Intensivstation. «Bei einem 85-jährigen Menschen kann bereits eine Schlaftablette zur Nacht ein Delir auslösen», so der Arzt. Häufig führen bei älteren Menschen Harnwegsinfekte, Herz-Kreislauferkrankungen, die Einnahme vieler verschiedener Medikamente, eine Operation der Elektrolytverschiebungen zu einem Delir.

Was ist eine Elektrolytverschiebung?

Wenn an der Grippe erkrankt, kann es im Körper zu einer Elektrolytverschiebung kommen: Das Fieber führt zu einem hohen Flüssigkeitsverlust. Geht die Grippe noch mit Durchfall einher, kann das den gesamten Elektrolythaushalt durcheinanderbringen. Eine Elektrolytverschiebung kann neben einem Delir unter anderem zu Appetitlosigkeit, Schwindel und Kopfschmerzen führen.

Können Medikamente Verwirrtheit auslösen?

Medikamente können Verwirrtheit auslösen – zum Beispiel, wenn verschiedene Krankheiten mit unterschiedlichen Medikamenten behandelt werden. Besonders problematisch sind Arzneistoffe, die im Gehirn das Bewusstsein und die Verarbeitung von Informationen schwächen. Dazu gehören etwa Opioide und Benzodiazepine.

Eine Behandlung schützt Patientinnen und Patienten davor, sich selbst zu gefährden.

Behandlung: Wie wird ein Delir therapiert?

Die Therapie richtet sich nach den Ursachen, die im jeweiligen Fall als wahrscheinlich gelten. «Alle anderen Behandlungen helfen, die Symptome zu lindern», erklärt sagt Stefan Brokatzky. «Ausserdem schützen sie Patientinnen und Patienten davor, sich selbst zu gefährden.»

Hilfreiche Behandlungsmethoden sind:

  • Patienten und Patientinnen nach einer Operation früh zu mobilisieren
  • darauf zu achten, dass sie ihre Hörgeräte und Brillen tragen
  • eine Sichttafel aufzustellen, die die Zeit, Datum und Bilder von Angehörigen zeigt
  • Fixierungen zu vermeiden
  • Angehörige früh aufzuklären und einzubinden
  • Medikamente wenn möglich zu reduzieren

Welche Medikamente gegen Delir?

Menschen mit Delir, die stark angespannt sind oder die Nacht zum Tag machen, werden mit Psychopharmaka behandelt, die die Symptome lindern. «Wenn sie richtig eingesetzt werden, lindern sie die Beschwerden, können aber die Ursache nicht bekämpfen», sagt Stefan Brokatzky. «Deshalb besteht eine gute Delir-Therapie immer aus mehreren Ansätzen.»

Was passiert, wenn ein Delir nicht behandelt wird?

Die Frage, was passiert, wenn ein Delir nicht behandelt wird, lässt sich nicht direkt beantworten. Stefan Brokatzky: «Es gibt diesbezüglich keine eindeutigen Untersuchungen.» Die Folgen seien längere Liegezeit im Krankenhaus, höhere Behandlungskosten sowie Folgeerkrankungen.

Menschen mit Delir werden häufig mit Psychopharmaka behandelt.
Menschen mit Delir werden häufig mit Psychopharmaka behandelt. © MaksimYremenko / iStock / Getty Images Plus

Wie ist die Prognose bei einem Delir?

Erschreckend ist, dass Delirien die Sterblichkeitsrate steigen lassen. Die Wahrscheinlichkeit, ein Jahr zu überleben, sinke mit jedem Tag im Delir um etwa zehn Prozent, sagt Thomas Klenk, Leitender Oberarzt Bereich Alterstraumatologie an den Dr. Erler Kliniken in Nürnberg D. «Bis zu 40 Prozent der Delirpatienten haben auch noch nach zwölf Monaten Einschränkungen in ihrer Hirnleistung.»

Was macht ein Delir so gefährlich?

Ein Delir bringt die Gefahr mit sich, weitere Erkrankungen zu bekommen. Wer verwirrt ist, kann zum Beispiel stürzen oder an einem Katheter ziehen und sich auf diese Weise sehr verletzen. Viele Menschen im Delir essen zudem zu wenig, was sich negativ auf ihren allgemeinen Gesundheitszustand auswirkt.

Wie lange kann ein Delir bei alten Menschen dauern?

Ein Delir kann bei älteren Menschen Tage, Wochen, aber auch Monate anhalten.

Kann ein Delir Demenz auslösen?

Delirien und Demenzen weisen viele gemeinsame Symptome auf. Bisher ist nicht wissenschaftlich bewiesen, dass ein Delir eine Demenz auslösen kann. Stefan Brokatzky: «Nachgewiesen ist allerdings, dass eine Demenz einen der grössten Risikofaktoren für ein Delir darstellt.»

Wie geht man mit Menschen mit einem Delir um?

Menschen im Delir brauchen Ruhe und Kontinuität. Angehörige sollten eigene Aggressionen zurückhalten, um die erkrankte Person nicht zusätzlich aufzuregen. Ein ruhiger Tonfall und einfache Formulierungen kommen am besten an. Oft beruhigen sich Menschen im Delir, wenn sie vertraute Familienbilder sehen, ihre Lieblingsmusik hören oder eine bekannte Fernsehsendung sehen.

Weitere Artikel in Krankheiten

Aktuelle Artikel

Beliebte Artikel